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13. Februar 2010

„Also, wenn ich ehrlich bin…“

Mit gerade einmal 28 Jahren ist er Chef eines Traderteams und macht, was er am besten kann: sehr schnell entscheiden und Geld verdienen. Über das Innenleben eines Bankers

Mit gerade einmal 28 Jahren ist er Chef eines Traderteams und macht, was er am besten kann: sehr schnell entscheiden und Geld verdienen. Über das Innenleben eines Bankers.

Im 23. Stockwerk eines gläsernen Büroturms befindet sich die Handelsabteilung der österreichischen Großbank, bei der Robert Sailer im Investmentgeschäft tätig ist. Nach der Matura absolvierte Sailer, Jahrgang 1981, eine interne Ausbildung bei der österreichischen Bank, bei der er noch heute beschäftigt ist, zunächst im Back Office, dann im Handel, später Börsenhändlerprüfungen in London, Zürich und Wien sowie diverse Ausbildungsseminare im Investmentbereich. Seit 2007 ist er Chef einer Gruppe im Anlagenhandel.

Von breiten Fensterfronten umgeben, eröffnet das Großraumbüro den Blick hinunter auf die Stadt, die von hier oben ungewöhnlich fern und klein erscheint. Es herrscht reger Betrieb. Dutzende von Menschen telefonieren, hämmern auf Tastaturen ein oder starren gebannt auf Monitore, auf denen Zahlen und Kurven in scheinbar endlosem Durcheinander flimmern. Nicht jeder würde sich an einem solch hektischen Arbeitsplatz wohl fühlen. Diejenigen, die es tun, haben etwas ganz Bestimmtes vor. Sie wollen Geld und Ruhm ernten. Die Handelsabteilung der Bank ist eine Kaderschmiede für junge Aufsteiger.

„Fünf bis sechs Millionen im Jahr“

Robert Sailer ist einer von ihnen. Mit gerade einmal 28 Jahren bereits das zehnte Jahr bei der Bank beschäftigt, kann er sich mittlerweile Chef eines fünfköpfigen Trader-Teams nennen. Der Bondhandel, für den er verantwortlich ist, ist primär ein Eigenhandel der Bank, bei dem es darum geht, Investments möglichst gewinnträchtig am Markt einzusetzen. In dieser Funktion hat er es nicht mit Privatkunden, sondern mit institutionellen Anlegern zu tun, vor allem jedoch mit den Sales Units im eigenen Haus, denen er als Price Provider Auskünfte über die Preise gibt, zu denen bestimmte Anlagenarten profitabel gehandelt werden. Die Aufgabe seiner Gruppe ist klar definiert: „Wir sind angehalten, Geld zu verdienen für die Bank, und das nicht wenig.“ Das Budget, das die Gruppe erreichen muss, wird durch jährliche Benchmarks vorgegeben, die zum 1. Januar eines Jahres abgerechnet werden. „Ich muss fünf bis sechs Millionen Euro im Jahr bringen, alleine, und meine Händler jeder so um die eineinhalb Millionen Euro. So, und ich hab jetzt einmal gute fünf Millionen aufgedrückt bekommen, mit denen muss man erst einmal klarkommen. Also, so einfach ist das nicht, vor allem wenn jedes Jahr am 1.1. die Uhr wieder auf Null geht. Es wird wieder alles zurückgedreht, und das Ergebnis, das man im Vorjahr gehabt hat, ist weg. Und man beginnt wieder von neuem und macht sich Gedanken darüber: Wie werd ich das überhaupt schaffen können?“

Die Sorge, die sich in solchen Fragen andeutet, gleicht Robert Sailer durch eine Art Selbstbewusstsein aus, das nach außen keinen Zweifel an seinen erstklassigen Kompetenzen aufkommen lässt. Gern teilt er mit, wie viel Schwierigkeiten er damit hat, Aufgaben auf andere Leute zu übertragen, „weil ich natürlich immer davon überzeugt bin, dass ich es am besten mache und am meisten Geld verdiene“ . Den Grund seines Erfolges sieht Sailer in einer außergewöhnlichen Begabung, die ihm eigen sei. „Also, was mir schon sehr viele Leute gesagt haben, beziehungsweise wovon ich auch selber überzeugt bin: Ich hab typische Händlereigenschaften. Das heißt, ich bin sehr, sehr entschlussfreudig und sehr, sehr schnell. Das heißt, ich muss binnen zweier Sekunden entscheiden: Geh ich das Risiko ein? Kauf ich das? Verkauf ich das oder nicht? Sofort!“

Den Instinkt schulen

Der Nachdruck, mit dem Sailer auf seine persönlichen Fähigkeiten abstellt, erklärt sich vielleicht dadurch, dass er in seinem bisherigen Werdegang auf kein Studium zurückblicken kann, was ihm mit Blick auf höhere berufliche Ziele als Nachteil erscheint. „Volkswirtschaftlich hab ich einfach einen Aufholbedarf.“ Bevor Sailers Karriere als Investmentbanker begann, probierte er es mit einem Studium für das Lehramt Geschichte. Auch eine Bewerbung für die Polizei war bereits auf dem Weg, als sich bei einer österreichischen Bank eine Chance bot, die er ergriffen hat. „Sobald ich in das Bankwesen eingetreten bin, hab ich gewusst: Händler ist der Job, den ich machen möchte.“ Angeleitet wurde er im Zuge eines internen Ausbildungsgangs von seinem damaligen Chef, der ihm nicht nur das notwendige Produktwissen beibrachte, sondern auch seinen Instinkt schulte, auf den Sailer seither nicht wenig stolz ist. „Mein Mentor, der mich eingeschult hat, hat gesagt: ,Ich muss dich um halb drei in der Früh aufwecken können und fragen, und du sagst mir ungefähr einen Preis. Ungefähr, du musst es mir nicht ganz genau sagen, aber ich möchte sofort einen Preis haben. Und du musst ungefähr wissen, wo der Markt steht, um eine schnelle Indikation zu geben, dann bist du sicher.‘“

Mittlerweile gehört es für ihn zum Tagesgeschäft, binnen Sekundenfrist Millionen von Euro zu transferieren. Für den Umstand, dass er es hierbei bereits weit gebracht hat, besitzt Sailer, der seine langen Haare zu einem Zopf gebunden trägt, eine Erklärung, mit der er aus Unterschieden im beruflichen Werdegang einen Vorteil macht, was die eigene Befähigung angeht. „Also, rein optisch pass ich nicht in die Vorstellung eines klassischen Investmentbankers. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich so erfolgreich und so weit gekommen bin. Weil ich doch ein bisschen anders bin als die anderen. Ich hab auch nicht unbedingt die klassischen Statussymbole, die ein Banker braucht – abgesehen jetzt einmal von meiner Uhr.“

Schadensbegrenzung

Die habituelle Eignung für den Wertpapierhandel, die er sich selber zuschreibt, schien ihn vergleichsweise lange zu tragen. „Vor Lehman“, wie bei Sailer die Zeitenwende der Bankenkrise heißt, habe es keine Probleme gegeben. Er glaubte, den Markt wie seine Westentasche zu kennen. Als sich vor zwei Jahren bereits die ersten Engpässe auf den Finanzmärkten zeigten, hat er seine Portfolios soweit im Wert reduziert, dass er Verluste um ein Vielfaches geringer halten konnte, als wenn er die vormalige Anlagengröße beibehalten hätte. Sich selbst rechnet Sailer diese Art Schadensbegrenzung als professionellen Umgang mit den Wechselfällen des Finanzhandels an. Die Bank allerdings erwartet Rendite, weshalb es seither keine Bonuszahlungen mehr für ihn gab. Sailer versucht, darauf mit einem gewissen Gleichmut zu reagieren: „Bonus ist schön und gut, meine Rechnungen zahl ich mit dem Fixgehalt.“ Nach Lehman jedoch stellt sich eine tiefe Verunsicherung bei ihm ein. Niemand habe damit gerechnet, dass es zu solch einem dramatischen Einbruch kommen würde, der in Robert Sailers Sicht selbst September Eleven weit in den Schatten stellt. „Die Zeiten haben sich geändert. Ich kann jetzt mit einem Ticket, mit dem ich früher hundertfünfzig Millionen gemacht habe, vielleicht dreißig Millionen machen, und das ist schon viel. Es geht nicht mehr, weil auch die Liquidität fehlt. Früher hab ich zweihundert, dreihundert, vierhundert Millionen Euro am Stück handeln können. Da hab ich einen Händler angerufen und gesagt: Ich brauch ein Offer für dreihundert Millionen, und hab’s (er schnipst mit den Fingern) so einfach bekommen. Jetzt müssen wir über fünf, sechs Ecken gehen, um den Markt nicht komplett aufzuscheuchen.“

Für die Turbulenzen, die er seither durchzustehen hat, sieht Sailer zwei verantwortliche Akteure am Werk. Zum einen die Amerikaner. Hinter dem Entschluss der US-Notenbank, anstelle von Lehman Brothers Merrill Lynch zu stützen, vermutet er ein Komplott gegen Europa. „Ich glaube, dass Lehman viel stärker in Europa exponiert war, darum hat man gesagt: ,Okay, wir können Lehman fallen lassen.‘ Ich glaub, dass das bewusst gesteuert worden ist. Weil die CDO-Transaktionen und die ABS-Transaktionen – das waren ja Europäer, die das gekauft haben. Im Grunde genommen haben die Amerikaner ihre schlechten Assets gut verpackt und haben’s den Europäern angedreht, und die Europäer haben’s gekauft. Natürlich war da auch immens viel Liquidität vorhanden, und die Leute haben sich drauf gestürzt, ohne wirklich bis ins Detail zu wissen, was sie eigentlich gekauft haben. Und das ist uns, und vor allem den Deutschen, massiv auf den Kopf gefallen.“

Zum anderen seien die institutionellen Anleger schuld an dem ganzen Debakel. Sie hätten wissen müssen, worauf sie sich eingelassen haben. „Wenn ich heute etwas kaufe, und vorgestern war in der Zeitung, dass es eine schlechte Bilanz bringen wird und sonst auch Probleme hat, und ich kaufe das trotzdem, und einen Tag später habe ich einen Default, dann kann ich dem Verkäufer, von dem ich es habe, nicht sagen: ,Hallo, du hättest mich informieren müssen.‘“

„Das hat sich keiner vorstellen können“

Den Banken selbst hält er zugute, dass vor der Finanzkrise kaum jemand die Risiken habe abschätzen können: „Es war wirklich eine einmalige Sache in der Historie, dass der Kapitalmarkt so zum Erliegen gekommen ist. Man kann das den Bankern nicht vorwerfen. Weil das Szenario, das wir jetzt in den letzten zwei Jahren erlebt haben, was ganz Spezielles ist. Das hat sich keiner vorstellen können.“

Wenn Sailer auf diese Weise vor allem auch sich selbst von jeder Verantwortung entlastet, so offenbart sich im Eingeständnis, mit der Krise überfordert gewesen zu sein, auch ein persönliches Charakteristikum. Sailer, der gerne mit seinem professionellen Jagdinstinkt renommiert, ist in Wirklichkeit ein Gehetzter, dem das Scheitern dicht auf den Fersen ist. Zwar glaubt er, bereits von neuem Witterung aufnehmen zu können, da die Märkte langsam wieder funktionieren und größere Anlagepositionen Gewinne versprechen. Doch steht hinter allem die ständige Angst, zu versagen oder eine wichtige Transaktion zu verpassen. Schon kleinste Fehler oder „Nichterreicher“ könnten ihn den Arbeitsplatz kosten, wie er plötzlich mit der Wortwahl gewöhnlicher Arbeitnehmer fortfährt. Getrieben vom Anspruch, zu den Besten zu gehören, läuft er tatsächlich einer Existenzangst davon, die ihn manchmal wie die Aussicht auf ein drohendes Unheil überkommt. Entlastung verspricht seine Vorstellung, nach der die Welt der schnellen Gewinne und rapiden Verluste nur eine Episode in seinem Leben darstellt: „Also, wenn ich ganz ehrlich bin, hoffe ich, dass ich in zehn Jahren irgendwo ein kleines Lokal habe oder einen kleinen Biobauernhof, und da komplett was anderes mache, sag ich Ihnen. Weil irgendwann steht’s einem bis hier oben!“

Das Buch „Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt“ der Soziologen Sighard Neckel (Professor an der Uni Wien) und Claudia Czingon (Projektassistentin) umfasst 31 Porträts von Bankern und Bankerinnen und erscheint im Juni bei Suhrkamp.

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20. Januar 2010

Demokraten verlieren wichtigen Senatssitz

Republikaner Brown gewinnt Nachwahl im Bundesstaat Massachusetts – Geplante Gesundheitsreform ist in Gefahr, da Demokraten nun weniger als 60 Stimmen im Senat halten

Washington – Dramatischer Rückschlag für US-Präsident Barack Obama: Seine Demokraten haben am Dienstag die wichtige Senatsnachwahl im Bundesstaat Massachusetts verloren. Damit verfügt Obama ein Jahr nach seiner Amtsübernahme in der kleineren Kongresskammer nicht mehr über die nötige 60-Stimmen-Mehrheit zur Durchsetzung wichtiger Gesetzesvorhaben. Auch seine Gesundheitsreform ist gefährdet.

Die Wahl hatte sich in den vergangenen Wochen zu einem Votum über die Reform und insgesamt über Obamas erstes Jahr im Weißen Haus entwickelt. Er war am 20. Jänner 2009 vereidigt worden.

Obama unterwegs nach Massachusetts

Nach Auszählung der meisten Stimmen lag der Republikaner Scott Brown (50) uneinholbar mit 52 zu 47 Prozent vor der vor kurzem noch hoch favorisierte demokratischen Kandidatin Martha Coakley (56). Sie räumte noch am Abend in einer Rede ihre Niederlage ein, kündigte eine „schonungslose“ Untersuchung die Ursachen für ihr Scheitern an und gratulierte dem Sieger. Obama war noch am Sonntag nach Massachusetts gereist, um die derzeitige Generalstaatsanwältin zu unterstützen und damit ein drohendes Debakel abzuwenden.

Der Staat ist traditionell eine liberale Hochburg. Bei der Wahl ging es um die Besetzung des Senatssitzes, der durch den Tod des äußerst populären Edward „Ted“ Kennedy im vergangenen Sommer freigeworden war. Er hatte den Sitz seit 1962 inne und eine grundlegende Gesundheitsreform mit einer Krankenversicherung für alle zu seinem Hauptziel gemacht. Vor ihm saß sein Bruder John F. Kennedy auf dem Platz.

Nun drohen Dauerreden

Die magische Zahl von 60 Stimmen ist nötig, um Filibuster (Dauerreden) der Minderheit zur Blockade oder Verzögerung von Gesetzesvorhaben im 100-köpfigen Senat zu verhindern. Bisher verfügten die Demokraten über 58 Mandate, erreichten die sogenannte Super-Mehrheit aber mit Hilfe von zwei Unabhängigen, die eine Fraktionsgemeinschaft mit ihnen bilden und in der Regel mit ihnen stimmen.

So konnte kurz vor Weihnachten eine Republikaner-Blockade der Senatsabstimmung über Obamas Gesundheitsreform durchbrochen werden. Der dann verabschiedete Entwurf unterscheidet sich aber deutlich von einer Vorlage, die das Abgeordnetenhaus gebilligt hat. Seit Anfang des Jahres wurde daher im Vermittlungsausschuss an einem Kompromiss gearbeitet, über den dann beide Kongresskammern erneut abstimmen müssten.

Die Demokraten überlegen nun, wie sie die Gesundheitsreform in ihren Kernpunkten noch retten können, ohne ein neues Votum im Senat zu riskieren. Eine Möglichkeit wäre, dass das Abgeordnetenhaus neu abstimmt, diesmal über die Senatsvorlage. Gibt die Kammer grünes Licht, könnte Obama das Gesetz unterzeichnen. In den USA müssen stets beide Häuser des Kongresses zustimmen, bevor ein Gesetz in Kraft treten kann.

Telegener Kandidat Brown

Noch vor wenigen Wochen hatte Coakleys Wahl als sicher gegolten. Doch innerhalb kurzer Zeit konnte der vordem US-weit kaum bekannte Brown entscheidend an Boden gewinnen. Der äußerst telegene bisherige Staatssenator in Massachusetts hatte in seinem Wahlkampf ganz entscheidend auf den verbreiteten Widerstand gegen die Gesundheitsreform gesetzt, die er selbst strikt ablehnt. Auch Obamas Klimaschutz-Plan mit einer deutlichen Reduzierung der Treibhausgase und die angestrebte Sondersteuer für mit Steuergeldern gerettete Banken will er bei den anstehenden Beratungen in diesem Jahr nicht unterstützen.

Großer Popularitätsverlust Obamas

Coakley ihrerseits hatte sich nach Einschätzung von Beobachtern zu stark auf ihre Favoritenrolle und Verbindungen zum politischen Establishment verlassen. Dagegen absolvierte Brown einen engagierten Wahlkampf, fuhr mit seinem Kleinlaster durch das Land und präsentierte sich als Kandidat des kleinen Mannes.

Die Entwicklung in Massachusetts spiegelt aber auch den schweren Popularitätsverlust Obamas wider. Bei der Vereidigung vor einem Jahr standen laut Umfragen bis zu 70 Prozent der Amerikaner hinter Obama – heute würden ihn nicht einmal mehr die Hälfte der Bürger wiederwählen. Nun müssen Obama und die Demokraten fürchten, dass die Schlappe in Massachusetts eine verheerende Sogwirkung für die Kongresswahlen im November haben wird. Dann stehen das gesamte Repräsentantenhaus sowie ein Drittel der Senatssitze zur Wahl.

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18. Januar 2010

Monogamie birgt evolutionären Vorteil

Monogame Beziehung laut Untersuchung Win-Win-Situation für beide Partner – historischer Ursprung der Monogamie bleibt unklar

Forscher sehen in der Entwicklung einer monogamen Beziehung deutliche evolutionäre Vorteile für beide Partner. Dadurch, dass Männer im Vertrauen bestärkt werden, dass die gemeinsamen Kinder ihre echten Erben sind und Frauen davon überzeugt sind, dass die Nachkommen Vorteile aus diesem „gesicherten“ Erbe ziehen, ist die monogame Beziehung eine Win-Win-Situation, schreiben Laura Fortunato vom University College in London und Marco Archetti von der Harvard University in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Journal of Evolutionary Biology.

Die Betrachtungsweise der Forscher zweifelt jene Theorien über fixe Partnerschaften an, die die Rolle der Religion und der soziologischen Vorteile, Männer vom Kampf um Partnerinnen abzuhalten, hervorheben. Auch diese Theorien kommen zum Schluss, dass das Aufgeben von mehreren Ehefrauen oder Partnerinnen Männer aufopfernder für die Interessen der Gruppe macht.

„Es gibt einige Situationen, in denen die monogame Beziehung die bessere Strategie für beide ist“, so Fortunato. Sie hat ein mathematisches Modell entwickelt, mit dem man herausfinden kann, wie solche Szenarien tatsächlich funktionieren könnten. Monogamie ist nach Ansicht der Forscher etwa dann für beide besser, wenn das Land zum Anbau knapp ist. „Es ist zu risikoreich, wenig Land unter vielen Nachkommen aufzuteilen.“ Das sei einfach nicht klug.

Historische Ursprung unklar

Die „Erfindung“ der Monogamie bleibt weiterhin ein Rätsel. Feststeht, dass im Codex Hammurabi, dem babylonischen Gesetzeswerk etwa 1.800 vor Christus, Polygamie verboten war. Fortunato hält dies allerdings von der Paarbildung und der sexuellen Monogamie auseinander, welche von frühen Menschen praktiziert wurde. Da in vielen Gesellschaften verschiedene Formen der Polygamie vorhanden sind, könne man nicht von einer „zwangsläufigen“ sozialen Monogamie ausgehen.

In der Modellbetrachtung von Populationen – einmal unter dem Aspekt monogamer, ein anderes Mal unter dem polygamer Männer über zwei Generationen – war Monogamie in frühen agrarischen Kulturen die für beide bessere Variante. „Wie das in der realen Welt tatsächlich ausgesehen haben mag, bleibt allerdings ein Rätsel“, so die Forscher.

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18. Januar 2010

„Kennedy-Sitz“ wird zu Obamas Albtraum

Niederlage der Demokraten bei Massachusetts-Nachwahl könnte Gesundheitsreform im letzten Moment kippen

Geht man nach der politischen Farbenlehre, dann ist Massachusetts so blau wie kein anderer Flecken in Amerika. Die Demokraten dominieren derart eindeutig, dass es die Republikaner, rein farblich die Roten, 1972 zum letzten Mal schafften, einen der beiden Senatssitze des Bundesstaats zu ergattern. Nun wittern sie Morgenluft. Morgen, Dienstag, wenn die Wähler den Nachfolger des verstorbenen Edward Kennedy bestimmen, rechnen sich die Konservativen eine echte Chance aus.

Nicht die Favoritin, die Demokratin Martha Coakley, liegt in letzten Umfragen vorn, sondern Scott Brown, der republikanische Außenseiter. Für John Kerry, den zweiten Senator des Staates, Grund genug, von einem Alarmsignal zu sprechen. Am Sonntag eilte Präsident Barack Obama nach Boston, um das eigentlich Undenkbare, einen Sieg Browns, abzuwenden.

Zu lange hatten die Demokraten das Rennen für reine Formsache gehalten. Zu wenig hatte sich Coakley, oberste Rechtsberaterin von Massachusetts, ins Zeug gelegt. Hände wolle sie nicht schütteln, nicht bei dieser Kälte, ließ sie wissen. Erst zum Schluss war sie bereit, sich auf zugige Marktplätze zu stellen.

Die allzu abgeklärte Art mag dazu beigetragen haben, dass es knapp werden kann. Schwerer wiegt der angestaute Ärger, wie er typisch ist für die derzeitige Stimmung in den USA. Zehn Prozent Arbeitslose, keine Aussicht auf schnelle Besserung: Die Wähler sind nicht gut zu sprechen auf die Partei, die gerade am Ruder ist.

Brown, der in den 1980ern nackt auf dem Titel des Hochglanzmagazins Cosmopolitan posierte, schwimmt geschickt auf der Anti-Washington-Welle. In Werbespots vergleicht er sich mit John F. Kennedy: JFK habe das Establishment genauso mutig herausgefordert wie er heute. Er zehrt davon, dass seine unterkühlte Rivalin lange den Anschein erweckte, als habe sie einen Anspruch auf den „Kennedy-Sitz“ . 47 Jahre hatte ihn Ted Kennedy inne, bevor er im August einem Krebsleiden erlag. „Bei allem Respekt“ , hakt Brown ein, „es ist nicht Kennedys Sitz, es ist nicht der Sitz der Demokraten, es ist der Sitz des Volkes.“

Wie brisant das Duell ist, wird beim Blick auf die Parlamentsarithmetik schnell klar. Im US-Senat stellen die Demokraten, Unabhängige eingeschlossen, 60 der 100 Sitze. Die Mehrheit reicht exakt aus, um einen Filibuster (Dauerreden zur Verzögerung eines Gesetzes) der Republikaner abzuwenden. Gewinnt Brown das Duell in Massachusetts, haben die Konservativen genügend Senatoren zusammen, um Obamas wichtigstes Projekt, die fast fertig ausgehandelte Gesundheitsreform, buchstäblich auf der Zielgeraden zu Fall zu bringen.

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12. Januar 2010

Facebook-Gründer: Privatsphäre nicht mehr so wichtig

Zeiten hätten sich geändert – Privacy-Änderungen nur Anpassung an gesellschaftliche Trends

Wohl kein anderes Service ist in Hinblick auf sein Verhältnis zum Thema Privatsphäre so oft in der Kritik wie das soziale Netzwerk Facebook. Während die einen darin schlicht ein nützliches Service zur Erweiterung des Freundeskreises sehen, warnen andere vor den langfristigen, negativen Auswirkungen einer solch freiwilligen Dauerentblößung.

Trends

Am Rande der CES lässt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nun mit seiner eigenen Theorie zu dem Thema aufhorchen. In einem Interview zeigt er sich davon überzeugt, dass Facebook keineswegs die zunehmende Aufgabe der Privatsphäre befördere, viel mehr sei es die allgemeine gesellschaftliche Haltung zu dieser Thematik, die sich in den letzten Jahren nachhaltig geändert habe, ein Trend dem man lediglich folge.

Entwicklung

Als er mit der Entwicklung von Facebook begonnen habe, haben ihn noch viele nach dem Sinn einer solchen Entwicklung gefragt, warum sollten sie irgendwelche Informationen über sich ins Internet stellen, warum überhaupt eine Website haben. In Folge habe sich zuerst Blogging durchgesetzt und dann alle möglichen Services, bei denen UserInnen verschiedenste Informationen mit anderen teilen können.

Änderungen

Facebook hatte erst vor wenigen Wochen für heftige Diskussionen gesorgt, nachdem man in einer Änderung der Privacy-Policy dazu übergegangen ist die Profile der eigenen NutzerInnen von Haus aus öffentlich zu schalten. Zuckerberg verteidigt diesen Schritt nicht nur, sondern sieht dies gar als Beweis für die Innovationskraft von Facebook: Viele andere Services hätten sich solch eine Änderung angesichts von 350 Millionen BenutzerInnen wohl nicht getraut, man selbst will aber immer einen frischen Zugang behalten, und da sich die sozialen Normen geändert haben, würde man heute Facebook von Haus aus mit öffentlichen Profilen starten. Vor zwei Jahren hatte Zuckerberg übrigens noch gegenüber ReadWriteWeb zu Protokoll gegeben, dass für Facebook Privacy das zentrale Thema sei.

5. Januar 2010

Verurteilter Bürgerrechtler legt Berufung ein

Erfolgschancen aber praktisch bei null

Nach seiner Verurteilung zu elf Jahren Gefängnis hat der prominente chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo Berufung eingelegt. Sein Anwalt Shang Baojun berichtete am Dienstag in Peking, den Antrag bereits vier Tage nach dem Urteil am 25. Dezember eingereicht zu haben. Eine Entscheidung durch das höchste Pekinger Volksgericht sei noch nicht gefallen. „Wir warten immer noch auf eine Mitteilung.“ Es gilt allerdings als aussichtslos, dass das ungewöhnlich hohe Urteil gegen den Ehrenpräsidenten des chinesischen Pen-Clubs unabhängiger Schriftsteller umgeworfen werden sollte.

Der Erste Mittlere Volksgericht hatte den 53-Jährigen wegen Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt verurteilt. Als Beweise galten seine Mitarbeit an der „Charta 08“, einem Appell für Demokratie und Menschenrechte in China, sowie regimekritische Aufsätze, die Liu Xiaobo im Internet veröffentlicht hatte. Das Urteil hatte international Bestürzung und heftige Kritik ausgelöst. Dem Gericht wurde vorgeworfen, den ehemaligen Universitätsdozenten und Literaturkritiker allein wegen der friedlichen Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung hinter Gitter gebracht zu haben.

5. Januar 2010

Der nackte Mensch

Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Bürgerrechte beschnitten

„Ich kann Ihnen mit aller Klarheit sagen, dass wir diesen Unfug nicht mitmachen.“ 14 Monate ist es her, seit der damalige deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble den Vorstoß der EU-Kommission ablehnt hat, Körperscanner für Flugpassagiere einzuführen. Nach dem verhinderten Attentatsversuch von Detroit hat Deutschland seinen Widerstand aufgegeben, die Niederlande, Großbritannien wollen auch Nacktscanner einführen. Seit Montag müssen in den USA Passagiere, die aus 14 verdächtigen Ländern kommen, durch dieses Gerät.

In Deutschland gibt es zumindest Debatten: über gesundheitliche Risiken, über den Schutz der Intimsphäre. Zu den Kritikern gehören die Polizeigewerkschaft und der Bund deutscher Kriminalisten. In Österreich gibt es nicht einmal auf politischer Ebene eine Diskussion. Es wird abgewartet – wie so oft. Angesichts bisheriger Erfahrungen ist nicht zu erwarten, dass sich just österreichische Politiker querlegen, wenn nun die EU-Kommission Nacktscanner vorschreibt.

Auf EU-Ebene hat zuletzt Ende November Innenministerin Maria Fekter zwar Kritik am Abkommen zum Austausch von Bankdaten mit den USA geübt. Sie hat das Abkommen dann aber nicht verhindert, sondern sich nur der Stimme enthalten. Experten befürchten, dass Daten weniger zur Terrorabwehr denn zur Wirtschaftsspionage genutzt werden, weil Überweisungen Aufschluss über Geschäftsbeziehungen geben können.

Der Terrorbekämpfung soll auch die Vorratsdatenspeicherung dienen, die heuer in Österreich eingeführt wird. Sechs Monate müssen Telekommunikationsunternehmen Daten aufbewahren, wer via Telefon oder Internet wann, mit wem, wie lange und von wo aus kommuniziert. In Deutschland haben 34.938 Bürger gegen die von der EU vorgeschriebene Speicherung geklagt. In Österreich verlangen zwar einzelne Berufsgruppen wie Anwälte, Journalisten und Ärzte Ausnahmen, eine öffentliche Debatte darüber gibt es aber nicht.

Spanien möchte die gerade übernommene EU-Präsidentschaft nutzen, um seinen Plan voranzutreiben, Daten über mutmaßliche Terroristen zwischen den Staaten auszutauschen. Dabei wurden auch in Österreich seit dem von den USA ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ Überwachungsinstrumente wie die Handy-Ortung massiv ausgebaut.

Das Mindeste, was eine Bürgergesellschaft im Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit bewahren muss, ist das Bewusstsein für den Preis, den sie zahlt. Es ist eine Gratwanderung. Und es sollte darüber diskutiert werden, welche Maßnahmen wirklich notwendig sind. Auch in Österreich. Nacktscannen, das nicht peinlich ist, gibt es nicht, genauso wenig wie eine Datenspeicherung, die die Persönlichkeitsrechte unberührt lässt.

Auch im Falle des gescheiterten Attentäters von Detroit hat es Warnungen gegeben. Letztlich war es Zivilcourage von Passagieren, die den Anschlag verhinderte. Ein Nacktscanner hätte den Sprengstoff, der in der Unterhose versteckt war, nicht entdeckt. In Saudi-Arabien trug ein Attentäter den Sprengstoff im Körperinnern. Viele der Anti-Terror-Maßnahmen schaffen eine Illusion von mehr Sicherheit, mehr nicht. Der Körperscanner bekämpft Angst, aber nicht individuellen Terror, um den Preis der Freiheitseinschränkung aller.

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4. Januar 2010

Wenn der Mensch wie Vieh behandelt wird

Infolge des Zweiten Weltkriegs waren Millionen Menschen auf der Flucht. Ein polnisches, nun auch auf Deutsch veröffentlichtes Buch beschreibt das Leid von Deutschen, Polen, Ukrainern und Juden

Frauen in Wintermänteln irren durch die Ruinen einer Stadt. Auf dem Rücken tragen sie Bündel mit Habseligkeiten. An der Hand halten sie kleine Kinder. Der Himmel ist grau verhangen. Alle frieren. Doch wer sind sie? Deutsche auf der Flucht vor der Roten Armee 1945? Polen, kurz vor dem Abtransport zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich 1940? Juden im Warschauer Ghetto 1943? Ukrainer in Lemberg, die ins Innere der Sowjetunion deportiert werden?

Das Titelbild des Atlanten Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung könnte für alle Vertreibungen in Mittel- und Osteuropa von 1939 bis 1959 stehen. Für die der Polen und Juden, der Deutschen und Ukrainer, der Litauer und Weißrussen, der Tschechen und Slowaken. In Polen wurde das Buch als bestes populärwissenschaftliches Werk des Jahres 2009 mit einem Historikerpreis ausgezeichnet. Nun hat es der Weltbild-Verlag in Augsburg in deutscher Sprache herausgebracht.

Die Vertreibung ist ein Thema, das in Polen immer wieder heftig diskutiert wird. Nicht nur deshalb, weil ein gewaltiger Nachholbedarf besteht: Bis 1989 durfte im kommunistisch regierten Polen weder über die Vertreibung der Deutschen gesprochen werden noch über die Massendeportationen der Polen in die Sowjetunion. Auch die Vernichtungspolitik der Nazis gegenüber den Juden war ein Tabu, ebenso die Vertreibung der Ukrainer durch die Polen.

Die Ideologie von den „wiedergewonnenen Gebieten im Westen“ sollte darüber hinwegtäuschen, dass Stalin die polnische Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 nach Kriegsende behalten durfte. Während in Westdeutschland die Vertriebenen ihre angeblich „ungerechtfertigt hohe Strafe für den Zweiten Weltkrieg“ beklagten, mussten die Polen schweigen. Die eigene Vertreibung aus den „Kresy“, den polnischen Ostgebieten mit den Städten Lemberg, Wilna und Grodno, wurde euphemistisch als „Repatriierung“ bezeichnet. Dabei mussten die meisten Ostpolen 1945 in den von den Deutschen verlassenen Gebieten neu anfangen. In Schlesien, Pommern und Ostpreußen war alles fremd. Von einer „Heimkehr ins Vaterland“ konnte keine Rede sein.

Auch die Geschichtspolitik in Deutschland über den Heimatverlust und das Unrecht der Vertreibung sorgt in Polen immer wieder für Aufregung. Denn die Ersten, die ihre Heimat verloren, waren keine Deutschen. Die Vertreibung begann 1939 mit dem Überfall Hitlers und Stalins auf Polen.

Das Buch zeigt genau dies auf. Hitlers „völkische Flurbereinigung“ begann mit der „Heim ins-Reich“-Politik. Den Balten- und Rumäniendeutschen, den Wolhynien-, Galizien- und Bessarabien-Deutschen, die sich in Trecks auf den Weg machten, hatten die Nazis bessere Bauernhöfe in „Großdeutschland“ versprochen. Im Warthegau wurden Polen und Juden massenweise vertrieben, um Platz für die Siedler zu machen.

Im Kreis Zamosc (Zamosch) in Südostpolen vertrieben die Nazis die Einwohner aus rund 300 Dörfern, verschickten die einen zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich, die anderen in KZs und Arbeitslager und ermordeten viele an Ort und Stelle. Die Kinder, so sie blond und blauäugig waren, wurden den Eltern geraubt, mit dem Zug nach Deutschland geschafft und dort an „rassisch einwandfreie SS-Familien“ verteilt.

Während die Deutschen ihren Teil des besetzten Polens mit Ghettos, KZs, Arbeits- und Durchgangslagern überzogen, deportierten die Sowjets aus dem von ihnen besetzten Teil Polens hunderttausende Menschen nach Sibirien. Wie die Deutschen benutzen auch die Sowjets vorwiegend Viehwagons zum Transport der Menschen. Viele starben an Hunger, Kälte, Entkräftung. Die Deutschen ermordeten Polens Elite in „Intelligenzaktionen“, die Sowjets erschossen über 20.000 Reserveoffiziere. Damit wollten Hitler wie Stalin verhindern, dass aus Polen jemals wieder ein souveräner Staat werden könnte.

Im Buch wird auch die Evakuierung, Flucht und Vertreibung der Deutschen in den Westen ausführlich geschildert. Aber auch die Massendeportationen der Deutschen ins Landesinnere der Sowjetunion 1944 und 1945 kommen nicht zu kurz. Zahlreiche Karten zeigen den sich immer weiter nach Westen schiebenden Frontverlauf und die Fluchtwege. Knapp 7,5 Millionen Deutsche flohen 1944/45 aus den Ostprovinzen des Deutschen Reiches in den Westen oder wurden später von Polen und Russen vertrieben.

600.000 bis 1,2 Millionen Menschen fanden dabei den Tod. Die Gauleiter hatten viel zu spät den Befehl zur Evakuierung gegeben. Viele Frauen und Kinder mussten sich mitten im Winter mit Pferdewagen oder zu Fuß auf den Weg machen. Ohne Beschönigung beschreiben die polnischen Autoren aber auch, wie es in den Lagern für Deutsche vor der endgültigen Aussiedlung aussah.

Das Kapitel über die deutschen Vertriebenen endet mit der „Aktion Familienzusammenführung“: Rund 350.000 Personen verließen in den Jahren 1950 bis 1959 Polen.

Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung. Ost- und Mitteleuropa 1939 bis 1959. Von Grzegorz Hryciuk, Malgorzata Ruchniewicz, Bozena Szaynok, Andrzej Zbikowski, aus dem Polnischen von Werner Hoelscher-Valtchuk. Weltbild, 253 Seiten, 14,95 Euro

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25. Dezember 2009

Kulturkampf im Dirndl und in Lederhosen

Die Ausstellung „Hast Du meine Alpen gesehen?“ widmet sich jüdischem Alpinismus – und damit der enttäuschten Sehnsucht nach Teilhabe und Zugehörigkeit

Wien – Die Ausstellung Hast Du meine Alpen gesehen? – Eine jüdische Beziehungsgeschichte ist eine echte Herausforderung! Würde nicht jeder meinen, Juden und Alpen – das sei einfach unvereinbar, geradezu widersprüchlich? Stattdessen wird uns hier eine unerwartete „love story“ präsentiert: Juden, die es in die Berge zieht. Das stellt all unsere gängigen Vorstellungen von jüdischer Kultur auf den Kopf.

In diesem jüdischen Alpinismus offenbart sich aber noch eine weitere Sehnsucht als jene nach den Bergen: die tiefe Sehnsucht der Juden zu Beginn des 20.Jahrhunderts nach Teilhabe, nach Zugehörigkeit. Das Bergsteigen wurde, wie die Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien anschaulich macht, zum bevorzugten Medium der Integration. Es versprach nicht nur ein existenzielles Naturerlebnis, es versprach auch, das Individuum „einzugemeinden“.

Exemplarisch zeigte sich diese Hoffnung in der Kleidung. Die Schau präsentiert zahlreiche Bilder von Juden in Trachten und Dirndlkleidern. Eines der skurrilsten Exponate ist eine Kippa bestickt mit Edelweiß, Enzian und Alpenrausch. Die Trachten bleiben aber eine Verkleidung. Man spielte darin Landleben und „fühlte sich durch und durch heimisch“. Man versuchte, sich damit einen Platz als Einheimischer zu schaffen. Heute, im Wissen darum, wie das Ganze ausgegangen ist, betrachtet man diese verzweifelten Versuche mit großer Beklemmung.

Und gerade angesichts heutiger Debatten um Kleiderordnungen zeigen die enttäuschten Hoffnungen der Juden in Lederhosen, dass Assimilation nicht der richtige Weg der Integration ist. Wie ein Kommentar dazu wirken die zahlreichen Fotografien in der Ausstellung, die orthodoxe Juden in ihrer Tracht in den Schweizer Bergen zeigen. Die schwarz gekleideten Gestalten bleiben darin Fremdkörper. Aber nur deshalb, weil wir alle genaue Vorstellungen haben, welche kulturellen Zeichen zur Bergwelt gehören. Hier erfahren wir anschaulich, wie sehr diese unsere Vorstellungen von den Nazis geprägt sind: 1938 erlassen sie ein Trachtenverbot für Juden. Das heißt, sie legen fest, wer das Recht hat, sich als alpenländisch zu identifizieren. Und sie geben vor, wie diese Identifizierung auszusehen hat. Sie hat Lederhosen an.

Die Alpen waren (und sind) der Kampfplatz, an dem Heimat und Zugehörigkeit verhandelt und entschieden wurde. Und die Ausstellung zeigt, wie die Juden diese Auseinandersetzung mit voller Leidenschaft führten – und wie sie sie verloren haben. Symptomatisch dafür ist die Geschichte der Alpenvereine. Diese weisen Anfang des 20. Jahrhunderts fast ein Drittel jüdischer Mitglieder auf. Ja, ein Jude, der Geologe Eduard Sueß, war sogar Mitbegründer des österreichischen Alpenvereins – unvorstellbar aus heutiger Perspektive, wo diese Institution als Inbegriff der Heimattümelei gilt. Dieses Image ist kein Zufall. Bereits 1921 hat der Alpenverein einen Arierparagrafen eingeführt, der alle jüdischen Mitglieder ausschloss. Eine bis dato unaufgearbeitete Geschichte. Umso erfreulicher ist die Mitarbeit des österreichischen Alpenvereins an der Ausstellung.

„Arisierung der Alpen“

Mit dieser Erzählung ist die Schau aber nicht nur eine Herausforderung für das jüdische, sondern mindestens ebenso sehr auch für das österreichische Selbstverständnis. Sie zeigt eine „Arisierung der Alpen“ , die sich als kulturelle Zuschreibung bis heute fortsetzt. Und sie versucht, das ist wohl ihr spannendstes Moment, dem gegenzusteuern. Durch die Erinnerung an einst namhafte jüdische Alpinisten, mehr noch durch die Rekonstruktion der Anfänge des Skifahrens und des Skitourismus.

Die Kuratoren haben die verschüttete Geschichte von Rudolf Gompez ausgegraben, einem Juden, der den Skilauf als modernen Sport ebenso wie den Skitourismus mitbegründet hat. Man muss sich das ganze Ausmaß dieses Unternehmens vor Augen halten: Hier wird ins Kernstück der österreichischen Identität eine jüdische Geschichte eingeschrieben! Das heilige Skifahren, der umfassende Skitourismus, das identitätsstiftende Moment des Alpenländischen schlechthin, wurde von Juden mitbegründet, miterfunden. Das ist wirklich zutiefst subversiv.

25. Dezember 2009

Vorstellung von Unglück

Neue Studie zeigt Zusammenhang zwischen Komatrinken und der Vorstellung, im Alter unglücklich zu sein

Ein nordirisches Team hat den Alkoholkonsum in Nordirland untersucht und dabei festgestellt, dass junge Männer eher zu gesundheitsschädlichem Verhalten wie zum Beispiel Komasaufen neigen, wenn sie davon überzeugt sind, dass es mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird, glücklich zu sein. In der Vorwegnahme eines „unglücklichen“ Alters versuchen sie, das Beste aus der Gegenwart zu machen, schreiben John Garry und Maria Lohan von der Queen’s University Belfast in Nordirland in der Springer-Fachzeitschrift „Journal of Happiness Studies“ (online).

Obwohl die negativen Auswirkungen übermäßigen Alkohol- und Zigarettenkonsums, schlechter Ernährung und mangelnder Bewegung weithin bekannt sind, trinkt eine große Anzahl Jugendlicher im Übermaß, raucht, isst weder Obst noch Gemüse und verzichtet auf regelmäßige Bewegung. „Könnte es sein, dass gesundheitsschädliches Verhalten vieler Jugendlicher mit ihrer Vorstellung zusammenhängt, dass Glücklichsein mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird?“, fragten sich die ForscherInnen.

Interview-Auswertung

Gary und Lohan werteten über tausend Interviews von Nordiren und Nordirinnen aus, die alle älter als 15 Jahre waren. Die InterviewteilnehmerInnen wurden zu ihrem Alkoholkonsum befragt. Sie wurden gefragt, ob sie Obst und Gemüse essen, rauchen und wie oft sie Sport treiben. Außerdem sollten sie Auskunft darüber geben, wie glücklich sie sich zum Zeitpunkt des Interviews fühlten und einschätzen, wie glücklich sie wohl im Alter von 30 bzw. 70 Jahren wären. Die TeilnehmerInnen, die das 30. bzw. 70. Lebensjahr bereits überschritten hatten, sollten beurteilen, wie glücklich sie sich in diesem Alter fühlen. Die Befragten sollten zudem einschätzen, wie glücklich der Durchschnittsmensch im Alter von 30 bzw. 70 Jahren ist.

Ergebnisse

Obwohl die jungen Leute irrtümlich der Meinung waren, Glücklichsein werde mit zunehmendem Alter immer schwieriger, gab es jedoch in Bezug auf das tatsächliche Glücksempfinden keinen Unterschied in der Selbsteinschätzung zwischen jungen und älteren TeilnehmerInnen. 59 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen wurden als KomatrinkerInnen eingestuft – mehr als die Hälfte der TeilnehmerInnen. Am anfälligsten für Komatrinken zeigten sich junge Männer mit einem pessimistischen Blick auf die Zukunft.

Die StudienautorInnen sind davon überzeugt, dass ihre Erkenntnisse für Gesundheitskampagnen, die junge Menschen über gesundheitsschädliche Verhaltensweisen aufklären sollen, hilfreich sind. Ihr Fazit: „Unsere Erkenntnisse bestätigen, dass der Grund für gesundheitsschädliches Verhalten in der Jugend mit der Vorstellung einhergeht, dass Glücklichsein mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird. Dies trifft insbesondere auf junge Männer zu, die sich einem exzessiven Alkoholkonsum hingeben. Man muss die jungen Leute, und hier insbesondere die jungen Männer, davon überzeugen, dass sich ein geringerer Alkoholkonsum positiv auf ihr Leben auswirkt und Glück im Alter sehr wohl möglich ist.“

Abstract: