Archive for Mai, 2011

31. Mai 2011

Philip Morris gegen Uruguay

US-Tabakkonzern klagt gegen staatliches Nichtrauchergesetz – Land erhält internationale Unterstützung

Uruguay versus Philip Morris, „David gegen Goliath“. So titelten Zeitungen in dem kleinen Land am Rio de la Plata am Mittwoch, dem ersten Prozesstag des US-Tabakgiganten gegen den uruguayischen Staat. Anlass ist das seit 2006 dort geltende Nichtrauchergesetz, das Rauchen in geschlossenen Räumen verbietet, die Steuern drastisch erhöht hat und strikte Vermarktungsregeln vorschreibt.

So ist die Aufschrift „light“ verboten, und 80 Prozent des Platzes auf der Zigarettenschachtel sind für die Warnung vor den Gefahren des Rauchens reserviert. Das verletzt nach Auffassung des Tabakkonzerns seine Markenrechte und ein Investitionsschutzabkommen mit Uruguay. Treibend für das erste Gesetz dieser Art in Lateinamerika war Tabaré Vazquez, damaliger Präsident und Krebsspezialist.

Zahl der Raucher sank um sieben Prozentpunkte

Bei der nichtöffentlichen Videokonferenz vor dem Internationalen Schiedsgericht für Investitionsfragen in Paris wurden nach Angaben der uruguayischen Regierung formale Punkte geklärt und der Weg für erste Vorladungen freigemacht.

Philip Morris lehnte eine Stellungnahme ab. Angeblich verlangt die Firma zwei Milliarden Dollar (1,4 Mrd. Euro) Schadenersatz. Der Konzern argumentiert, er habe sieben seiner zwölf Marken aufgrund des Gesetzes vom Markt nehmen müssen. Das habe nicht der Volksgesundheit gedient, sondern lediglich lokalen Konkurrenzmarken genützt.

Die uruguayische Regierung verweist auf ihre Fürsorgepflicht für die Bürger. „Wir sind der Auffassung, dass Regierungen derartige hoheitliche Entscheidungen treffen können, und dies sowohl völkerrechtlich abgedeckt ist als auch vom Investitionsschutzabkommen“, sagte Präsidialamtsleiter Diego Canepa. Nach offiziellen Angaben sank die Zahl der Raucher von 32 auf 25 Prozent, bei Jugendlichen von 32 auf 18 Prozent.

Uruguays BIP liegt bei Philip Morris‘ Halbjahresmusatz

Als eines der Länder, das am striktesten die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegen das Rauchen umsetzt, wird Urugay von dieser unterstützt. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg spendete dem Land 500.000 Dollar (352.600 Euro) für das Verfahren, das nach offiziellen Schätzungen umgerechnet bis zu 2,8 Mio. Euro kosten und mindestens zwei Jahre dauern wird.

Uruguay hofft auf Unterstützung weiterer Länder. Sein Bruttoinlandsprodukt liegt bei 31 Mrd. Dollar (21,9 Mrd. Euro) – Philip Morris macht jährlich doppelt so viel Umsatz. Eduardo Blanco, urugayischer Kardiologe, glaubt, dass der Konzern bewusst einen kleinen, finanzschwachen Gegner erwählt hat, um ein Exempel zu statuieren, wie er der BBC sagte.

Sandra Weiss

Schlagwörter: , ,
31. Mai 2011

Primavera Sound 2011 – Die Alten führen die Jungen vor

Vor dem Hintergrund der Unruhen in Barcelona fand am Wochenende das elfte Primavera Sound Festival statt – dort zeigte sich vor allem eines: Die Idole der Weltjugend sind die Alten

Das wirkliche Leben drang selten durch. Etwa als Pulp ihr Lied Common People den Demonstranten widmeten. Auch der als Keyboarder der Beastie Boys bekanntgewordene Money Mark solidarisierte sich mit den Opfern der katalanischen Polizei, die am vergangenen Wochenende in Barcelona dutzende Demonstranten krankenhausreif geprügelt hatte.

Mit rund 120.000 Besuchern an drei Tagen plus 20.000 Gästen bei Shows an den Tagen vor und nach dem eigentlichen Festival verzeichnete Primavera im elften Jahr seines Bestehens einen Besucherrekord. Zwar drückte dieser auf die Benutzerqualität, dennoch zählt es immer noch zu den erträglichsten Großfestivals, was vor allem dem angenehmenen Publikum geschuldet ist – und dem Programm. Denn allein mit jenen Bands, die man nicht sieht, ließen sich schon zwei, drei Qualitätsfestivals programmieren.

Zum Konsenshöhepunkt 2011 zählte die Reunion-Show der britischen Band Pulp. Nach zehn Jahren Inexistenz kehrte die aus Sheffield stammende Formation triumphal wieder: Ihr Programm rief in Erinnerung, welch rare Qualität Jarvis Cocker und Co in den 1990er-Jahren produzierten, als sie mit dem Album Different Class (1995) dem damaligen Brit-Pop-Boom seinen Höhepunkt verpassten; mit Songs wie erwähntem Common People, Disco 2000 oder Something Changed. Das mit Do You Remember The First Time? eröffnete Konzert zeigte Cocker auf der Höhe seiner Kunst: den ewigen Dandy, immer zart neben der Spur, dabei voll bei sich. Ein Entertainer, der sein Publikum ab dem ersten Moment mit dem kleinen Finger dirigierte. Die Band neben ihm führte derweil vor, wie man Kraft und Fragilität eloquent handhabt. Erst ihre Wiederkehr führte nun vor Augen, wie sehr man Pulp vermisst hatte. Ein Österreich-Termin? Nicht in Sicht.

Auf derselben Bühne sorgte PJ Harvey tags darauf für eine weitere Weihestunde, als sie ihr aktuelles Album Let England Shake live präsentierte. Dabei zeigte sich, dass sogar ihre ruhigen Stücke massenwirksam sein können, wenn das Publikum mitzieht. Unterstützt wurde die mit Federn geschmückte Britin von einer Band, in der neben Gitarrist John Parish der Multiinstrumentalist und frühere musikalische Kopf von Nick Caves Bad Seeds spielte: Mick Harvey. Da konnte nicht viel schiefgehen.

Zeitgleich kam es auf der danebenliegenden Bühne zu einer weiteren Pflichtveranstaltung, die einen zum Pendeln zwang: dem Auftritt von Matthew Dear und seiner Band.

Ein Pfau in Weiß

Der US-Amerikaner Dear überführte seine aus dem Minimal Techno kommende Musik in einen kontrolliert ekstatischen Dance-Pop. Dafür fand neben Schlagzeug, Gitarre und Bass eine Trompete Einsatz, die Dears Musik unter anderen Vorzeichen eine ähnliche Erhabenheit verlieh, wie es PJ Harveys Vortrag vermochte.

Doch wo Harvey wie frisch aus dem Märchenwald auf der Bühne stand, stakste Dear im weißen Anzug wie ein Edelstricher auf Extasy über die Bühne – permanent Laptop, Mikro und diverses Scheppergerät im Einsatz. Niederschwellig euphorische Stücke wie Fleece On Brain wurden so zu richtigen Floorfillern. Doch Dear – dem Kaulquappendasein erst kurz entwachsen – zählte zu den Ausnahmen: Denn wenn sich bei Primavera etwas gezeigt hat, dann, wie wenig junge Musiker über eine Bühnenpräsenz verfügen, die über fadgasiges Herumstehen und hohles Posing hinausreicht. Das gilt für hippe Bands wie Deerhunter oder Warpaint bis zu Yuck – allesamt nicht zum Anschauen. Ein Drama in Indie-Uniformen und auf dünnen Beinchen.

Diesbezüglich ungefährdet war David Thomas, der mit der Band Pere Ubu deren Debütalbum The Modern Dance aus 1978 in seiner Gesamtheit darbot – gewürzt mit Anekdoten, die der wie Orson Welles aussehende Bandvorstand buchstäblich süffig reichte.

M. Ward, ein großer US-amerikanischer Songwriter, überzeugte seinerseits mit einem mitreißenden Konzert, das zeigte, dass das leidlich ausgeblutete Americana-Genre immer noch Herausragendes hervorzubringen vermag.

The Monochrome Set wiederum, eine UK-Band, die schon vor 30 Jahren klang wie Franz Ferdinand heute, kratzte bei ihrer Show nach einem elenden Beginn am Ende mit Hits wie Jacob’s Ladder doch noch die Kurve, und Money Mark, der durchgeknallte Beastie-Boys-Keyboarder und vergnügliche Alleinunterhalter, pflegte Soul und Funk: Im Trio führte er vor, dass er nämliche Stile seinen Tasten ebenso zu entlocken vermag wie der Stromgitarre. Sein Auftritt allein war die Reise schon wert.

Primavera Sound

Schlagwörter: ,
31. Mai 2011

Stauwarnung fürs Nova Rock

Dreitägiges Open-Air-Konzert zu Pfingsten in Nickelsdorf – Stündliche Sonderzüge und Shuttlebusse werden bereitgestellt

Das Nova Rock, Österreichs größtes Rockfestival, kollidiert dieses Jahr auch mit dem Feiertagsverkehr: Das Open-Air-Spektakel findet von 11. bis 13. Juni und somit zu Pfingsten statt. Tausende Autos werden bereits am Freitagvormittag über die Ostautobahn (A4) in Richtung Nickelsdorf rollen, um früh bei den Pannonia Fields II einzukehren. Um Staus zu vermeiden, gibt es wie in den Vorjahren die Möglichkeit, mit dem Bus oder der Bahn zum Festival zu reisen.

Um 10.00 Uhr werden am Freitagvormittag, also einen Tag bevor die ersten Bands auf die Bühnen treten, die Tore zum Nova Rock geöffnet. Deshalb fährt sowohl am Freitag als auch am Samstag stündlich ein Sonderzug der ÖBB vom Wiener Westbahnhof direkt nach Nickelsdorf. Shuttlebusse bringen Festivalbesucher vom Bahnhof zum Gelände. Retour kommen Fans auf die gleiche Weise: täglich nach Konzertende und verstärkt am Dienstag bis 13.45 Uhr.

Außerdem bringt ein Bus die Fans vom Busterminal U3-Erdberg in Wien direkt zur Haltestelle bei den Pannonia Fields II und in der Nacht wieder zurück. Auch im Burgenland gibt es die Möglichkeit mit einem Shuttle zum Gelände zu gelangen. Ab Mattersburg und Eisenstadt steht dieser bereit.

Für all jene, die mit dem eigenen Pkw anreisen, raten die Veranstalter, die Spitzenzeiten – Freitag später Nachmittag bzw. früher Abend und Samstagmittag – zu meiden. Für Eltern und Freunde, die ihre Nova Rocker zum Festival bringen wollen, wurde am Sportplatz ein „Bringen und Abholen“-Platz eingerichtet. Von dort aus fährt regelmäßig ein Shuttlebus zum Gelände. Nur Ein- oder Aussteigen direkt bei den Pannonia Fields II ist nicht möglich.

Beim diesjährigen Nova Rock dominieren die harten Klänge: Rock- und Heavy-Metal-Bands wie Iron Maiden, Korn, Danzig, Motörhead, Volbeat, Flogging Molly, Guano Apes, Thirty Seconds To Mars, Wolfmother, The Darkness, Linkin Park und System Of A Down gehören zum Line Up. Gespannt darf man auf den Auftritt von Otto (Waalkes) & den Friesenjungs zum Abschluss des Programms sein. Zuletzt wurden noch The Sisters Of Mercy verpflichtet.

Schlagwörter: ,
24. Mai 2011

Go the Fuck to Sleep

So wie Milliarden Eltern hatte Adam Mansbach eine harte Zeit, als seine Tochter im Alter von zweieinhalb Jahren nie einschlafen konnte. Und genauso wie die meisten anderen Eltern hegte auch er nicht nur freundliche Gedanken gegenüber seiner Tochter.

Das ist normal, wie in Elternratgebern nachzulesen ist – und als Psychohygiene wichtig, solange den Gedanken keine Worte oder Taten folgen. In Zeiten von Facebook postet der Mensch seinen Frust. Mansbach schrieb sinngemäß in sein Profil, dass er statt eines Kinderbuchs gerne das Buch „Go the Fuck to Sleep“ vorlesen würde.

Seine Freunde waren so begeistert, dass Mansbach tatsächlich dieses Kinderbuch schrieb, für den kleinen Verlag Akashic Books und selbstverständlich mit dem Hinweis, dass man das Buch besser nicht den Kleinen vorlesen sollte. Darin sind Zeilen enthalten wie:

„Ich weiß, dass Du keinen Durst hast“

„The eagles who soar through the sky are at rest / And the creatures who crawl, run and creep. / I know you’re not thirsty. That’s bullshit. Stop lying. / Lie the fuck down, my darling, and sleep“ (zitiert nach dem britischen „Guardian“). Also: Alle Tiere schlafen – und dann: „Ich weiß, dass Du keinen Durst hast. Das ist Bullshit. Hör auf zu lügen. Leg Dich verdammt noch einmal nieder und schlaf, meine Süße.“

Und: „The cubs and the lions are snoring. / Wrapped in a big snuggly heap. / How come you can do all this other great shit / But you can’t lie the fuck down and sleep?“ Also – auch die kleinen Tiere und Löwen schlafen – „Wie kommt es, dass Du jeden Scheißdreck voll beherrschst / Aber verdammt noch einmal Niederlegen und Schlafen nicht?“ Wer schon einmal kleine Kinder großgezogen hat, der kann die existenzielle Verzweiflung verstehen, die aus diesen Worten spricht.

Plötzlicher Riesenhype

Die Veröffentlichung war noch immer eher als Scherz gedacht, die Auflage entsprechend klein. Doch plötzlich war im Netz eine PDF-Version unterwegs und wurde zum viralen Phänomen. Man verlegte kurzerhand den Erscheinungstermin von Oktober auf Juni und erhöhte die Auflage. Was dann passierte, übertraf die Erwartungen aller Beteiligten: Das Buch wurde – einen Monat vor seinem Erscheinen – nur aufgrund von Vorbestellungen zum meistverkauften Literaturtitel bei Amazon – wohlgemerkt, ein 32 Seiten starkes Kinderbuch, das man keinem Kind vorlesen kann.

Mansbachs Tochter ist nun drei Jahre alt, sie schläft jetzt besser ein, das Schlimmste ist vorüber. Gegenüber dem „Guardian“ sagt der Vater, dass er und seine Frau die ersten dankbaren Leser des Buchs gewesen seien. Das Buch fange die Frustration ein, „in einem Raum mit einem Kind zu sein und das Gefühl zu haben, diesen Raum nie wieder verlassen zu können und also den Rest seines Lebens in diesem dunklen Raum verbringen werden zu müssen, wo man versucht, sein Kind zum Einschlafen zu animieren“.

„Du gehst jetzt nicht aufs Klo“

Später überzeugte das Buch auch prominente Testleser, wie auf der Website des Verlages nachzulesen ist. Der momentan groß gefeierte Autor Jonathan Lethem etwa nannte die Verse „total genial“. David Byrne (Ex-Talking-Heads-Frontman): „Ein Kinderbuch für Erwachsene – ich habe mich kaputtgelacht.“ Das Prinzip hinter dem Buch ist der Tabubruch – und wie gut der tun kann, wissen wir spätestens seit Freud und seinem Buch über die Funktionsweise der Witze.

Ein letztes Zitat sei hier noch wiedergegeben, weil man auf die deutsche Version wohl noch lange warten wird müssen, falls sie überhaupt jemals kommt: „All the kids from day cara are in dreamland. / The froggie has made his last leap. / Hell no, you can’t go to the bathroom. / You know where you can go? The fuck to sleep.“ Frösche und Kinder schlafen also – und: „Verdammt noch einmal nein, Du gehst jetzt nicht aufs Klo. / Weißt Du, was Du machen kannst? Verdammt noch einmal einschlafen.“



23. Mai 2011

Fremdschämen kann man messen

Das Beobachten peinlicher Situationen anderer aktiviert die selben Hirnareale wie beim Anblick körperlicher Schmerzen

Fremdschämen kann man im Gehirn deutlich messen. Beim Beobachten peinlicher Situationen anderer würden die gleichen Hirnareale aktiviert wie beim Anblick körperlicher Schmerzen eines Mitmenschen, erklärten Sören Krach und Frieder Paulus von der Universität Marburg. Für ihre im Wissenschaftsmagazin PloS One erschienenen Studie hatten sie Gehirnströme von 32 Menschen untersucht, die Zeichnungen von Menschen in peinlichen Situationen angeschaut hatten.

Eine Fragebogenstudie mit 600 Probanden bestätigte ein weiteres Ergebnis der Messungen: Das Phänomen stellvertretender Scham ist unabhängig davon, ob die betroffene Person selbst die Situation als peinlich wahrnimmt. So tritt das Gefühl des Fremdschämens auch auf, wenn jemand mit offener Hose durch die Fußgängerzone geht, dies selbst aber gar nicht bemerkt.

Ausdrücklich erwähnen die Forscher beim Phänomen Fremdschämen Fernsehsendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“, in denen sich Kandidaten vor Millionen Zuschauern präsentieren. Sie lieferten Fremdscham dank peinlicher Situationen frei Haus, auch ohne dass die Betroffenen davon selbst etwas mitbekämen, erklärten die Forscher.

Abstract
PloS One: Your Flaws Are My Pain: Linking Empathy To Vicarious Embarrassment

23. Mai 2011

Wie der Nachtschwärmer zum senilen Bettflüchter wird

Der Schlaf- und Wachrhythmus verschiebt sich mit dem Alter kontinuierlich nach vorne – Schweizer Forscher haben sich angesehen, woran das liegt

Der Fachausdruck für die innere Uhr lautet zirkadianer Schrittmacher, sitzt im sogenannten Nucleus suprachiasmaticus des Gehirns und befindet sich in steter Verbindung mit Taktgebern in den Körperzellen. Diesen Rhythmusgebern ist es zu verdanken, dass die meisten Menschen, je nach dem über welche genetischen Grundlagen sie verfügen, entweder als Lerche, sprich: Frühaufsteher, oder als Eule, also Morgenmuffel, durch einen Teil ihres Lebens gehen.

Ab dem 20. Lebensjahr tritt allerdings eine allmähliche Veränderung ein: der Schlaf- und Wachrhythmus verschiebt sich kontinuierlich Richtung früher, bis wir im Alter an der berühmten frühmorgendlichen senilen Bettflucht leiden. Schweizer Wissenschafter sind nun der Frage nachgegangen, welche Faktoren für den Wechsel im Ablauf der inneren Uhr verantwortlich sind. Die Antwort fanden sie im Blut.

„Sklaven-Uhren“ in den Zellen

Biologische Uhren kontrollieren eine Vielzahl tagesrhythmischer Prozesse wie Schlaf, Körpertemperatur, Blutdruck, Hormonausschüttung und Verdauung. Diese Aktivitäten werden von zirkadianen Schrittmachern gesteuert. Diese werden durch das Licht, das durch die Augen einfällt, synchronisiert und kommunizieren mit anderen Uhren, den sogenannten „Sklaven-Uhren“, die in den meisten Zellen unseres Körpers vorkommen.

Diese Zellen stellen die für die zirkadiane Rhythmik (den inneren Rhythmus, die innere Uhr) wichtigen Uhren-Gene dar. Die Uhren-Gene und die von ihnen codierten Proteine wirken in einer komplexen negativen Rückkopplungsschleife zusammen und sie generieren zelluläre molekulare Rhythmen. Ein zirkadianer Rhythmus besitzt eine Periodenlänge von rund 24 Stunden. Die Periodenlänge der inneren Uhr hängt von der genetischen Ausstattung ab. Zudem ist es möglich, Organismen zu züchten, die aufgrund unterschiedlicher Mutationen in Uhren-Genen eine interne Uhr mit längerer oder kürzerer Periodenlänge haben.

Von der Nachteule zum senilen Bettflüchter

Bei Menschen können zwei Hauptkategorien von Chronotypen unterschieden werden: Der Lerchentyp ist frühmorgens frisch und munter, der Eulentyp blüht viel später auf. Interessanterweise verändert sich mit zunehmendem Alter der Chronotypus und die Periodenlänge der inneren Uhr nimmt ab. Ungefähr ab dem 20. Lebensjahr, nachdem während der Pubertät die innere Uhr auf nachtaktiv gepolt war, erfährt sie einen Wendepunkt, indem sie sich dann nach und nach Richtung früher verschiebt bis wir – im Alter – an der berühmten senilen Bettflucht leiden.

Der Frage, warum dieses Phänomen im Alter auftritt, sind nun Wissenschafter von der Universität Basel und der Universität Zürich nachgegangen und haben in einer Studie die molekularen Mechanismen dieser altersabhängigen chronobiologischen Veränderung untersucht. Aufgrund der Tatsache, dass eine zirkadiane Uhr in den meisten unserer Zellen, also auch in peripheren Zellen existiert, wurde eine neue von Brown entwickelte Untersuchungsmethode genutzt, nämlich die Gewinnung und Kultivierung peripherer Zellen einzelner Versuchspersonen, um die molekularen genetischen Eigenschaften der individuellen Uhren bestimmen zu können.

Leuchtende Taktgeber durch Feuerfliegen-Gene

Im Rahmen der Studie wurde 18 jungen (21-30 Jahre) und 18 älteren Versuchspersonen (60-88 Jahre) eine winzige Hautbiopsie entnommen. Die gewonnenen humanen Primärkultursysteme wurden mit einem Gen der Feuerfliege so modifiziert, dass sie Licht (Biolumineszenz) emittieren können. Da die Expression des Feuerfliegengens von einem Uhren-Gen (Bmal-1) kontrolliert wird, kann somit dessen zirkadiane Aktivität visualisiert werden.

Die individuellen rhythmischen Expressionsmuster der Fibroblastenkulturen von jungen und älteren Spendern wurden über 5 Tage erfasst. Somit war es möglich, individuelle zirkadiane Perioden am Menschen ex vivo/in vitro zu analysieren. Die Forscher fanden heraus, dass im Gegensatz zu den gut dokumentierten altersabhängigen Änderungen im Schlafverhalten, die zirkadiane Periodenlänge in Fibroblasten von jungen und älteren Spendern in vitro nicht verändert war.

Faktoren im Blut

Interessanterweise änderte sich dieses Verhalten jedoch, wenn die gleichen Zellen – egal ob „jung oder „alt“ – mit humanem Serum, das von älteren Personen stammte, statt mit Standardserum (FSC) behandelt wurden. In Analogie zu den in-vivo-Daten reagierten die Zellen mit einer Verkürzung ihrer Periodenlänge. Die Verkürzung trat jedoch nicht auf, wenn Serum von jungen Kontrollpersonen verwendet wurde.

Die Studiendaten zeigten damit erstmalig, dass das Zusammenspiel der molekularen Komponenten der inneren Uhr im Alter nicht per se verändert ist. Die Studienmacher/innen vermuten, dass zirkulierende thermolabile Faktoren für die Modulation der zirkadianen Rhythmik im Alter verantwortlich sind. Diese sind hormonellen Ursprungs und könnten damit auch durch pharmakologische Interventionen behandelbar sein.

Abstract
PNAS: Serum factors in older individuals change cellular clock properties

23. Mai 2011

Schleichwerbung „flächendeckendes“ Phänomen

ZeitungenIn heimischen Tages-zeitungen wimmelt es von Schleichwerbung, konstatiert der PR-Ethik-Rat. Als Beweis für dieses offene Geheimnis präsentierte der PR-Ethik-Rat am Freitag eine Studie, in der mehrere Tages-zeitungen, Nachrichten- und Special-Interest-Magazine nach versch. Formen von Schleich-werbung durchforstet wurden.

550 Beiträge wurden gesichtet, 325 davon waren „kritisch im Sinn der Fragestellung“, so Studienautorin Ursula Seethaler bei einer Pressekonferenz. Grundsätzlich sei das Phänomen „ein flächendeckendes“, wobei Schleichwerbungen in Boulevardmedien „deutlich häufiger“ auftreten, als in anderen Zeitungen. Insgesamt konnten die Studienautorinnen acht verschiedene Typen von Schleichwerbung festmachen. Das für den Leser größte Problem ist aber die Anpassung von redaktionellen Anzeigen an das journalistische Umfeld. Das heißt, selbst wenn bezahlte Beiträge gekennzeichnet waren, was bei zwei Dritteln der Fall war, ließen sie sich aufgrund der gestalterischen Ähnlichkeit kaum von journalistischen Beiträgen unterschieden.

Irreführend seien auch falsche Kennzeichnungen. Laut Gesetz muss unter einem bezahlten Beitrag „Anzeige“, „entgeltliche Einschaltung“ oder „Werbung“ stehen. Vor allem bei Serien und Sonderbeilagen könne man allerdings stattdessen „mit freundlicher Unterstützung von“, „in Kooperation mit“ oder „eine Initiative von“ lesen. „Solche Kennzeichnungen sind überdies oft kaum sichtbar und die Kooperationspartner werden unkritisch positiv dargestellt“, hieß es.

Besonders lax ist der Umgang mit Schleichwerbung laut Studie in den Ressorts Reisen, Wellness, Essen und Gesundheit. Entsprechende Artikel mit nicht korrekt deklarierten redaktionellen Inseraten seien demnach vor allem in der „Kronen Zeitung“, in „Heute“, „Österreich“, dem „Format“ und den „Vorarlberger Nachrichten“ gefunden worden. Kritisch wurden auch Sonderwerbeformen wie Sonderbeilagen oder Themenstrecken beleuchtet, die vor allem dazu dienten inseratenfreundliche Umgebungen zu speziellen Themen zu schaffen. Hier monieren die Studienautoren, dass oft völlig unklar ist, „ob redaktionelle Artikel eingebaut oder die Seiten vollständig aus bezahlten Beiträgen bestehen“.

Angesichts der weiten Verbreitung von Schleichwerbung fordert der PR-Ethik-Rat und allen voran sein Vorsitzender Wolfgang Langenbucher, eine „Anpassung der gesetzlichen Regelungen für die Kennzeichnung entgeltlicher Einschaltungen“. Die Kennzeichnung müsse „gut sichtbar“ sein, außerdem müsse es im Mediengesetz eine eigene Regelung für Medienkooperationen sowie einen erhöhten Strafrahmen für nicht deklarierte Werbung geben, so Langenbucher.

Im Rahmen der vom Ethik-Rat in Auftrag gegebene empirische Studie wurden im Oktober 2010 folgende Zeitungen untersucht: „Kronen Zeitung“, „Heute“, „Österreich“, „Kleine Zeitung“, „Der Standard“, „Die Presse“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“, „Vorarlberger Nachrichten“, „Niederösterreichische Nachrichten“, „profil“, „Format“ und „Woman“.

23. Mai 2011

Mateschitz bringt Sohn als Nachfolger ins Spiel

(c) sueddeutsche

Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, 67, hat einen „Nachfolger im Sinn“, schreibt das US-Wirtschaftsmagazin „Bloomberg Businessweek“ in seiner aktuellen Ausgabe. Im Gespräch mit der „Businessweek“ bringt der Red-Bull-Chef seinen Sohn Mark ins Spiel: „Mein 19-jähriger Sohn wird nach Beendigung seiner Ausbildung in das Unternehmen einsteigen, wenn er will und wenn die Zeit reif ist.“

Anfang April hatte das Wirtschaftsmagazin „trend“ berichtet, dass der Sohn des Red-Bull-Gründers eine erste Funktion im Firmengeflecht des Vaters übernommen hat. „Seit Jänner ist er Co-Geschäftsführer und Co-Gesellschafter der Dietrich Mateschitz Verwaltungs OG, die einen Mini-Anteil an der 2005 erworbenen Gesellschaft Braun & Co. hält“, schreibt das Magazin. Ansonsten sind in der Gesellschaft aber keine anderen Firmenanteile von Mateschitz geparkt.

Der Anteil sei ein „aus vertraglichen Gründen zustande gekommener symbolischer Anteil“ und sei „ausschließlich privater Natur“ und „hat nichts mit Red Bull zu tun“, erklärte damals die Red-Bull-Pressestelle gegenüber dem „trend“.

Im Jahr 2004 hatte sich Mateschitz in einem seiner selten Interviews gegenüber dem Schweizer Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ zur Frage seiner Nachfolge wie folgt geäußert: „Red Bull ist eine GmbH, in der ich Gesellschafter bin. So wird es bleiben, bis ich beurteilen kann, ob mein Sohn die Nachfolge antreten möchte und kann.“

Als Erfinder der Red-Bull-Rezeptur hält die thailändische Unternehmerfamilie Yoovidhya 51 Prozent am Unternehmen. Dietrich Mateschitz besitzt 49 Prozent an der Red Bull GmbH.

Der Energydrink-Konzern hat im Geschäftsjahr 2010 das bestes Ergebnis seiner Geschichte erzielt: Der Unternehmensumsatz legte im Vergleich zu 2009 um 15,8 Prozent auf 3,79 Mrd. Euro zu. Der Absatz stieg um 7,6 Prozent auf 4,2 Milliarden Dosen. Die Expansion geht aber noch weiter: Für das zweite bis dritte Quartal 2011 ist der Markteintritt in China geplant. Derzeit wartet man bei Red Bull noch auf die behördliche Zulassung.

23. Mai 2011

Die US-Band Gang Gang Dance spielt auf „Eye Contact“ weltoffenen Pop zwischen Avantgarde und hybrider Weltmusik

Das neue Album des New Yorker Bandkollektivs Gang Gang Dance startet mit einer programmatischen Durchsage: „I can hear everything. It’s everything time.“ Und tatsächlich verhält es sich so, dass die insgesamt zehn sehr gern auch mit Endlos- oder Unendlichkeitssymbolen betitelten Stücke auf eine Form stilistischer Grenzenlosigkeit verweisen, die vor allem von einem Charakteristikum geprägt ist: Die „Songs“ des in Manhattan beheimateten Quartetts haben keinen Anfang – und sie nehmen sehr oft kein Ende.

Daraus folgt keinesfalls Beliebigkeit. Ähnlich wie die offenen Bandmodelle des deutschen Krautrock der 1970er-Jahre, allen voran Can aus Köln, aber auch Popol Vuh, haben sich die seit Anfang der 2000er-Jahre bestehenden Gang Gang Dance auf ihrem neuen Album Eye Contact für eine offene Versuchsanordnung entschieden. Stets mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Pop im weitesten Sinn im Hinterkopf, werden so während länglicher Improvisationen Songstrukturen entwickelt, die auf gemütlich groovender Rhythmusbasis einen multikulturellen Feuertopf aufkochen. Er erschließt sich gerade auch über die Herkunft der Bandmitglieder. Griechische Folklore, asiatische Melodieführung, dazu allerlei Zufütterung aus weltmusikalisch geprägten Plattensammlungen zwischen Karibik, Balkan-Polka und aktuellen Dancefloor-Mustern aus den Bereichen Grime oder House ergeben so bei Stücken wie Adult Goth, Chinese High oder Mindkilla ein zirpendes und klingelndes Durcheinander, das einzig von den Drumpatterns in halbwegs straffer Form gehalten wird.

Der mäusemäßige, aus verstopften Stirnnebenhöhlen kommende piepsende Gesang von Lizzie Bougatsos manövriert das Unternehmen zwar recht entschieden an etwaigen Verkaufshitparaden vorbei in Richtung eines längst überflüssig gewordenen Avantgarde-Postulats. Nicht umsonst haben Gang Gang Dance schon vor einigen Jahren beim Donaufestival gastiert. Speziell der Track Romance Layers aber legt nahe, dass Gang Gang Dance auch sehr viel technoiden Computer-R’n’B aus den 1980er-Jahren, wie etwa Janet Jacksons Album Control und dessen Hit Nasty, gehört haben.

(Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2011)