4. Juni 2011

FIFA 12: Keine Hendl mehr als Fußballspieler

Der neueste Teil der Serie hat tatsächlich einige grundlegende Neuerungen zu bieten

Objektiv betrachtet muss man sagen, dass das im Herbst erscheinende FIFA 12 Pflichtspiel für die heimische Nationalmannschaft werden sollte. Besonders für die Verteidigung. Denn sportliche Tragödien wie gegen Belgien und die Türkei würden sich vermeiden lassen, wenn die Kicker die Vorgänge in dem im Herbst erscheinenden nächsten Teil der FIFA-Serie verstehen würden.

„Tactical Defending“

Das Spiel, das am Donnerstag bei einer Preview in Köln demonstriert wurde, hat tatsächlich einige grundlegende Neuerungen zu bieten. Dazu gehört eben beispielsweise ein neues Verhalten der Verteidigung, „Tactical Defending“ genannt. Die computergesteuerten Spieler laufen nicht mehr wie aufgescheuchte Hendl zu viert auf einen ballführenden Fußballer zu, sondern halten bis zu einem gewissen Punkt Abstand und schränken so durch bessere Aufteilung die Räume ein.

Doch das Spiel kommt auch durch andere Dinge deutlich näher an die Realität heran. Die „Player Impact Engine“ ist eines davon. Die kleinen Männchen in den bunten Dressen laufen nicht mehr einfach nur ineinander, Tacklings und Zweikämpfe werden durch die über zwei Jahre dauernde Neuentwicklung lebensnäher. Auch Schwere und Folgen von schlecht getimten Tacklings können so besser simuliert werden.

Enger dribbeln

Für den Anfänger lobenswert ist wiederum die Möglichkeit, deutlich enger dribbeln zu können als in den früheren Versionen. Lionel Messi kann sich, wie im richtigen Leben, mittlerweile samt Ball fast auf einem Bierdeckel umdrehen. Was auch von Bedeutung ist, da die AI mittlerweile den Eigenschaften ihrer Spieler mehr Beachtung schenkt. Steht ein großer, kopfballstarker Spieler im Strafraum, kommt eine hohe Flanke. Ist es dagegen ein Ballkünstler wie Messi, wird eher Tikitaka versucht.

Bei einem ersten anspielbaren Testmatch zwischen den Gunners aus London, also Arsenal, und Lokalrivalen Chelsea machen sich all diese Veränderungen durchaus positiv bemerkbar. Das Spiel wirkt eindeutig flüssiger und feiner abgestimmt. Die ausgefeiltere Verteidigung macht sich bezahlt, welche Einstellung möglich sind, etwa stärkeres Pressing, blieb bei der ersten Präsentation aber unklar. Was für die heimischen Fußballer aber wohl zweitrangig wäre, scheitern die doch meist grandios schon am Konzept der Raumverteidigung.

FIFA 2012 (official homepage)

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4. Juni 2011

Exzess mit Kapuzineräffchen

Mit „Hangover 2“ geht Todd Philipps‘ US-Erfolgskomödie um ein paar Männerfreunde, die sich im Rausch vergessen, in Serie

Das Prinzip bleibt nahezu gleich – ein paar unverbrauchte Ideen hätten nicht geschadet.

Von der Weigerung ihrer Protagonisten, erwachsen zu werden, leben zeitgenössische US-Komödien schon geraume Zeit ganz gut. Es gibt die Buben unter den Männern, die lieber unter sich bleiben, als sich mit Frauen einzulassen, und damit das Neo-Genre der „bromance comedy“ rund um Produzent Judd Apatow begründet haben. Und es gibt jene, die sich innerlich nie von ihrer College-Zeit getrennt haben und das Leben als eine einzige Abfolge von Räuschen, Sexabenteuern und dummen Streichen betrachten.

Todd Philipps‘ Komödie Hangover hat dazwischen eine kleine Nische gefunden und damit 2009 weltweit sensationelle 450 Millionen Dollar (bei einem Zehntel der Produktionskosten) eingespielt: Die Helden, der Schönling Phil (Bradley Cooper), der herzensgute Zahnarzt Stu (Ed Helms), selbst der etwas exzentrischere Nerd Alan (Zach Galifianakis) waren amerikanische Durchschnittstypen. Während eines Wochenendes in Las Vegas durften sie all das erleben, was ihnen im bürgerlichen Leben verwehrt blieb.

Ein Exzess mit Deadline – eine eigentlich recht spießige Angelegenheit, die der erste Teil mit anarchischer Geste völlig aus dem Ruder laufen ließ. Die Komik verdankte sich einer gemeinsam erfahrenen Peinlichkeit, die erst am Tag nach dem Absturz in ein paar benebelten Schritten aufgedeckt werden musste, weil jedem die Erinnerung daran fehlte.

Hangover 2, den nun erneut Philipps inszeniert hat, erweitert wie die meisten Sequels eine Erzählung zur Formel, ohne ihr dabei viele neue Einfälle zuzuführen. Statt mit einem Tiger wachen die Freunde diesmal in Gegenwart eines Kapuzineräffchens in einem schäbigen Hotel in Bangkok auf, ein Gesichtstattoo, ein abgeschnittener Finger und der exaltierte Gangster Mr. Chow (Ken Jeong) lassen den Schluss zu, dass es in der Nacht wieder heiß hergegangen ist. Eigentlich in Thailand, um die Hochzeit von Stu zu feiern, begeben sich die Kumpels auf die Suche nach dem verschollenen Teenage-Bruder der Braut, Teddy (Mason Lee) – der Finger gehörte nämlich zu ihm.

Das Biest im Inneren

Natürlich wird daraus wieder eine Konfrontation der Helden mit inneren Dämonen, die sie sich nicht eingestehen wollen. Vor allem Stu stößt auf seine verborgenen Wünsche, „the beast in me“, wie er einmal bemerkt, als er von seinen Sexualpraktiken mit einem Transsexuellen erfährt. Das Drehbuch beutet, anders als im runder wirkenden ersten Teil, hier jedoch zu vorhersehbar all jene Stereotype aus, die um Bangkok kursieren: von buddhistischen Schweigemönchen, die mit dem Schlagstock operieren, über Liebesdienste und Drogenmissbrauch bis zu mafiösen Untergrundnetzwerken, die den Film an den Rand der Action-Komödie führen.

Die All-American Guys tauchen durch diese Welt der Laster freilich nur hindurch, bleiben dabei jedoch allzu heil und intakt. Während es in den Filmen der Farrelly-Brüder, auf deren Brachialhumor auch Philipps aufbaut, stets darum geht, die triebhaften, regressiven oder auch nur dämlichen Seiten einer vermeintlichen Normalität anzuerkennen, treten Phil, Stu und Alan am Ende ein wenig selbstsicherer aus ihrem Schlamassel hervor.

Dem Erfolg tut dies keinen Abbruch: Hangover 2 startete in Nordamerika mit 86,5 Millionen Dollar so stark wie noch keine Komödie davor.

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4. Juni 2011

Sex mit Elvis

Eine Naturgewalt kehrt zurück: Die New Yorker Jon Spencer Blues Explosion gastiert am Montag im Wiener Flex

Im Moment stürzen sich auf Ebay dutzende Nerds wegen der jüngsten Jon-Spencer-Blues-Explosion-Veröffentlichung in die Schulden. Es ist eine Split-Single mit den Melvins: Beide Bands covern darauf den Ram-Jam-Song Black Betty.

Die New Yorker Jon-Spencer Blues Explosion (JSBX) hat das Lied für einen VW-Käfer-Spot eingespielt – auf ihre Art, denn im Namen Blues Explosion steckt die von Muddy Waters formulierte Evolutionstheorie des Rock ’n‘ Roll: „The Blues had a baby and they named it Rock ’n‘ Roll.“

Jonathan Spencer und sein Trio vertonen den Geburtsmoment und die Überführung des Blues in dessen wilden Nachfolger mit selten erlebter Besessenheit. Begonnen hat Spencer damit in den frühen 1990ern, nachdem er die Band Pussy Galore sein hat lassen.

Von deren Garagen- und Trümmer-Rock wandte er sich dem süffigeren Blues und Rock ’n‘ Roll zu, den er mit Judah Bauer und Russell Simins mit Wucht und Sexiness neu definierte. Die Welt war dazu noch nicht bereit, zumindest nicht in dem Ausmaß, das den White Stripes wenig später mit derselben Idee eine Weltkarriere ermöglichte.

Immerhin: Spencer war zusammen mit seiner Frau Christina einer der schärfsten Underground-Hipster der 1990er, der Elvis der Generation Punk. Nach einem Jahrzehnt Inexistenz – während deren Spencer hauptsächlich die Band Heavy Trash betrieben hat – kehrt er nun mit der Blues Explosion zurück, am Montag gastiert diese Rabiatperle im Wiener Flex.

Zurzeit gibt man ein Best-of-Programm aus Welthits, die nie welche wurden: Bellbottoms, Do You Wanna Get Heavy?, Afro … Zur Exekution reichen zwei Gitarren, Schlagzeug und dann und wann ein Theremin, um die Ekstase und den Irrsinn zu potenzieren.

Nächstes Wochenende findet im Burgenland das Festival Nova Rock statt. Im Vergleich zur Blues Explosion treten bei diesem Musikantenstadl unter freiem Himmel eigentlich nur Daumenlutscher auf. Tun Sie sich doch einen Gefallen, und schauen Sie sich das hier an:

JSBX live: 6. 6. Flex, 20.00

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3. Juni 2011

Wiener Donauinselfest: Programm veröffentlicht

80er-Veteranen Europe unter den Headlinern

Wien – Auch in seiner 28. Auflage fällt das – am Dienstagabend von Cheforganisator Sascha Kostelecky präsentierte – Programm des Donauinselfestes betont heterogen aus. Das dreitägige Freiluftspektakel bringt ab 24. Juni bei freiem Eintritt unter anderem das spirituell angehauchte Soulkollektiv Söhne Mannheims, die 80er-Veteranen Europe, das Avantgarde-Volksmusik-Duo Attwenger oder Schlager-Granden von Wörther- bis Edlseer auf die Bühne.

Trotz insgesamt 18 Bühnen hat man sich in Sachen Musikangebot heuer jedoch leicht zurückgenommen. Ein Grund: Die Ö3- fusioniert bekanntlich mit der Radio-Wien- zur ORF-Bühne, auf die  Radio-Arabella-Bühne wird verzichtet. Dies wird von den Organisatoren mit einem neuen Sicherheitskonzept argumentiert, das neben verstärkter Videokontrolle auch mehr Freiraum für die Besucher vorsieht.

Das divergierende Hörerpublikum der Radiosender schlägt sich durchaus im Line-up nieder. Konsenspop a la Train, James Cottriall oder Ich+Ich changiert mit Nostalgieausflügen in die 1980er mit etwa Peter Cornelius  oder den Headlinern Europen.  Die FM4-Bühne konzentriert sich erneut auf Acts der als alternativ geltenden Szene. Die Londoner Hip-Hop-Ikone Roots Manuva oder die Indiepop-Combos Chikinki und Shout Out Louds treffen auf österreichische Genregrößen wie Kreisky und Nino aus Wien.

Auf der Rockbühne bestreiten die Happy, 3 Feet Smaller und Danko Jones  die Abende, Russkaja sorgt   für Balkananstrich. Die Schlager- und Volksmusikbühne wird nach ihrer Einführung im Vorjahr nun aufgewertet, der Bogen spannt sich von den Alpenrebellen und Paldauern über Simone und Elisabeth Engstler bis zu Seppli & Florian und Musikantenstadl-Präsentator Andy Borg.

Anspruchsvolle Unterhaltung heftet sich einmal mehr das Ö1-Zelt auf die Fahnen. Geboten wird u.a. Kabarett und Singer-Songwritertum: Lukas Resetarits und Andreas Vitasek teilen sich die Bühne mit Clara Luzia und Francis International Airport. Um verstärkt Publikum bereits an den Nachmittagen anzulocken, wird nicht nur das Familienprogramm erweitert, sondern eine eigene „Action & Fun-Insel“ inklusive BMX- und Skate-Shows aus der Taufe gehoben.  DJs, Auftritte von Gewinnern eines im Vorfeld veranstalteten Bandcontests und Kostproben aus dem Country-Oeuvre ergänzen den Stilmix der drei Tage. (APA)

Donauinselfest (offical homepage)

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3. Juni 2011

Traurig tanzen

Die kanadische Formation Austra um Katie Stelmanis verbindet auf „Feel It Break“ den Synthie-Pop der 1980er-Jahre mit Gothic und klassisch gebildetem Gesang

Katie Stelmanis (c) Austra

Theatralische Popmusik auf den Grundlagen von klassischem Synthie-Pop aus den 1980er-Jahren unter besonderer Berücksichtigung der damals wie heute im Untergrund prosperierenden Gothic-Szene erlebt in der Szene spätestens seit Acts wie Florence & The Machine oder The Knife oder Zola Jesus ein kleines Comeback. Die junge kanadische, in Toronto lebende Sängerin Katie Stelmanis fügt sich dabei mit ihrer Band Austra und dem Debüt Feel It Break ohne weiteres Aufsehen nahtlos in dieses Phänomen. Ihr Hit Lose It, eine freundliche Variation alter ästhetischer Vorgaben von Genreheld Marc Almond und seinem Duo Soft Cell mit ihrem Durchbruch Non-Stop Erotic Cabaret von 1981 und Klassikern wie Tainted Love, Memorabilia oder Say Hello, Wave Goodbye, läuft auf Heavy Rotation. Und dieser Song definiert auch das gesamte Erscheinungsbild der insgesamt elf Stücke von Feel It Break.

Nicht etwa, dass Stelmanis und Austra dabei auch nur ähnlich hochwertige Meisterwerke des tragödischen Plastikpop gelingen. Immerhin ist die Kunst bei Austra streng retrospektiv angelegt, was beim Hören eher für nostalgische Gefühle als Hochstimmung bezüglich Innovation sorgt. Dennoch kann man den Liedern nicht jegliche Eigenständigkeit absprechen. Schließlich hat Katie Stelmanis beim Kinderchor der kanadischen Oper ebenso eine solide Gesangsausbildung genossen wie sie auch Viola und Klavier studierte.

Das führt dazu, dass im Hintergrund der Drumcomputer fröhlich rückwärtsgewandt programmiert wird und Bass-Ostinatos wie die spartanische Keyboardbegleitung in der Nachfolge Soft Cells keinerlei Neuwerte ergeben. Wie sich auch der helle wie kalte, tragödisch die oft queeren Songtexte durchdringende Gesang in den Refrains, mit dem man bisweilen Steine schneiden könnte, um dann während der Strophen interessant brüchig und lebensmüde bis zum nächsten Höhepunkt auszuharren, am Ende bezahlt macht.

Wer sich auf solch übermächtige Vorbilder beruft und dabei auch immer ein wenig die damaligen Hitparaden im Sinne Giorgio Moroders oder Depeche Modes mitdenkt, wird vom Vorwurf des reinen Kopistentums freigesprochen. Manchmal allerdings, das ist immer dann, wenn Katie Stelmanis die Nähe zur Esoterikheldin Enya oder zur Progpop-Übermutter Kate Bush sucht, kann auch der gute alte Synthie-Pop nichts retten.

Am Ende wird oft alles wieder gut: The Noise und The Beast, die beiden letzten Stücke, beweisen, dass Stelmanis nicht nur ihr Klavierstudium ernst genommen hat. The Noise zeigt auch, dass Austra im Zweifel nicht Depeche Mode hören, sondern lieber den abtrünnigen Depeche- Mode-Gründer Vince Clarke mit seinem späteren Duo Yazoo.

Austra (offical homepage)

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31. Mai 2011

Philip Morris gegen Uruguay

US-Tabakkonzern klagt gegen staatliches Nichtrauchergesetz – Land erhält internationale Unterstützung

Uruguay versus Philip Morris, „David gegen Goliath“. So titelten Zeitungen in dem kleinen Land am Rio de la Plata am Mittwoch, dem ersten Prozesstag des US-Tabakgiganten gegen den uruguayischen Staat. Anlass ist das seit 2006 dort geltende Nichtrauchergesetz, das Rauchen in geschlossenen Räumen verbietet, die Steuern drastisch erhöht hat und strikte Vermarktungsregeln vorschreibt.

So ist die Aufschrift „light“ verboten, und 80 Prozent des Platzes auf der Zigarettenschachtel sind für die Warnung vor den Gefahren des Rauchens reserviert. Das verletzt nach Auffassung des Tabakkonzerns seine Markenrechte und ein Investitionsschutzabkommen mit Uruguay. Treibend für das erste Gesetz dieser Art in Lateinamerika war Tabaré Vazquez, damaliger Präsident und Krebsspezialist.

Zahl der Raucher sank um sieben Prozentpunkte

Bei der nichtöffentlichen Videokonferenz vor dem Internationalen Schiedsgericht für Investitionsfragen in Paris wurden nach Angaben der uruguayischen Regierung formale Punkte geklärt und der Weg für erste Vorladungen freigemacht.

Philip Morris lehnte eine Stellungnahme ab. Angeblich verlangt die Firma zwei Milliarden Dollar (1,4 Mrd. Euro) Schadenersatz. Der Konzern argumentiert, er habe sieben seiner zwölf Marken aufgrund des Gesetzes vom Markt nehmen müssen. Das habe nicht der Volksgesundheit gedient, sondern lediglich lokalen Konkurrenzmarken genützt.

Die uruguayische Regierung verweist auf ihre Fürsorgepflicht für die Bürger. „Wir sind der Auffassung, dass Regierungen derartige hoheitliche Entscheidungen treffen können, und dies sowohl völkerrechtlich abgedeckt ist als auch vom Investitionsschutzabkommen“, sagte Präsidialamtsleiter Diego Canepa. Nach offiziellen Angaben sank die Zahl der Raucher von 32 auf 25 Prozent, bei Jugendlichen von 32 auf 18 Prozent.

Uruguays BIP liegt bei Philip Morris‘ Halbjahresmusatz

Als eines der Länder, das am striktesten die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegen das Rauchen umsetzt, wird Urugay von dieser unterstützt. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg spendete dem Land 500.000 Dollar (352.600 Euro) für das Verfahren, das nach offiziellen Schätzungen umgerechnet bis zu 2,8 Mio. Euro kosten und mindestens zwei Jahre dauern wird.

Uruguay hofft auf Unterstützung weiterer Länder. Sein Bruttoinlandsprodukt liegt bei 31 Mrd. Dollar (21,9 Mrd. Euro) – Philip Morris macht jährlich doppelt so viel Umsatz. Eduardo Blanco, urugayischer Kardiologe, glaubt, dass der Konzern bewusst einen kleinen, finanzschwachen Gegner erwählt hat, um ein Exempel zu statuieren, wie er der BBC sagte.

Sandra Weiss

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31. Mai 2011

Primavera Sound 2011 – Die Alten führen die Jungen vor

Vor dem Hintergrund der Unruhen in Barcelona fand am Wochenende das elfte Primavera Sound Festival statt – dort zeigte sich vor allem eines: Die Idole der Weltjugend sind die Alten

Das wirkliche Leben drang selten durch. Etwa als Pulp ihr Lied Common People den Demonstranten widmeten. Auch der als Keyboarder der Beastie Boys bekanntgewordene Money Mark solidarisierte sich mit den Opfern der katalanischen Polizei, die am vergangenen Wochenende in Barcelona dutzende Demonstranten krankenhausreif geprügelt hatte.

Mit rund 120.000 Besuchern an drei Tagen plus 20.000 Gästen bei Shows an den Tagen vor und nach dem eigentlichen Festival verzeichnete Primavera im elften Jahr seines Bestehens einen Besucherrekord. Zwar drückte dieser auf die Benutzerqualität, dennoch zählt es immer noch zu den erträglichsten Großfestivals, was vor allem dem angenehmenen Publikum geschuldet ist – und dem Programm. Denn allein mit jenen Bands, die man nicht sieht, ließen sich schon zwei, drei Qualitätsfestivals programmieren.

Zum Konsenshöhepunkt 2011 zählte die Reunion-Show der britischen Band Pulp. Nach zehn Jahren Inexistenz kehrte die aus Sheffield stammende Formation triumphal wieder: Ihr Programm rief in Erinnerung, welch rare Qualität Jarvis Cocker und Co in den 1990er-Jahren produzierten, als sie mit dem Album Different Class (1995) dem damaligen Brit-Pop-Boom seinen Höhepunkt verpassten; mit Songs wie erwähntem Common People, Disco 2000 oder Something Changed. Das mit Do You Remember The First Time? eröffnete Konzert zeigte Cocker auf der Höhe seiner Kunst: den ewigen Dandy, immer zart neben der Spur, dabei voll bei sich. Ein Entertainer, der sein Publikum ab dem ersten Moment mit dem kleinen Finger dirigierte. Die Band neben ihm führte derweil vor, wie man Kraft und Fragilität eloquent handhabt. Erst ihre Wiederkehr führte nun vor Augen, wie sehr man Pulp vermisst hatte. Ein Österreich-Termin? Nicht in Sicht.

Auf derselben Bühne sorgte PJ Harvey tags darauf für eine weitere Weihestunde, als sie ihr aktuelles Album Let England Shake live präsentierte. Dabei zeigte sich, dass sogar ihre ruhigen Stücke massenwirksam sein können, wenn das Publikum mitzieht. Unterstützt wurde die mit Federn geschmückte Britin von einer Band, in der neben Gitarrist John Parish der Multiinstrumentalist und frühere musikalische Kopf von Nick Caves Bad Seeds spielte: Mick Harvey. Da konnte nicht viel schiefgehen.

Zeitgleich kam es auf der danebenliegenden Bühne zu einer weiteren Pflichtveranstaltung, die einen zum Pendeln zwang: dem Auftritt von Matthew Dear und seiner Band.

Ein Pfau in Weiß

Der US-Amerikaner Dear überführte seine aus dem Minimal Techno kommende Musik in einen kontrolliert ekstatischen Dance-Pop. Dafür fand neben Schlagzeug, Gitarre und Bass eine Trompete Einsatz, die Dears Musik unter anderen Vorzeichen eine ähnliche Erhabenheit verlieh, wie es PJ Harveys Vortrag vermochte.

Doch wo Harvey wie frisch aus dem Märchenwald auf der Bühne stand, stakste Dear im weißen Anzug wie ein Edelstricher auf Extasy über die Bühne – permanent Laptop, Mikro und diverses Scheppergerät im Einsatz. Niederschwellig euphorische Stücke wie Fleece On Brain wurden so zu richtigen Floorfillern. Doch Dear – dem Kaulquappendasein erst kurz entwachsen – zählte zu den Ausnahmen: Denn wenn sich bei Primavera etwas gezeigt hat, dann, wie wenig junge Musiker über eine Bühnenpräsenz verfügen, die über fadgasiges Herumstehen und hohles Posing hinausreicht. Das gilt für hippe Bands wie Deerhunter oder Warpaint bis zu Yuck – allesamt nicht zum Anschauen. Ein Drama in Indie-Uniformen und auf dünnen Beinchen.

Diesbezüglich ungefährdet war David Thomas, der mit der Band Pere Ubu deren Debütalbum The Modern Dance aus 1978 in seiner Gesamtheit darbot – gewürzt mit Anekdoten, die der wie Orson Welles aussehende Bandvorstand buchstäblich süffig reichte.

M. Ward, ein großer US-amerikanischer Songwriter, überzeugte seinerseits mit einem mitreißenden Konzert, das zeigte, dass das leidlich ausgeblutete Americana-Genre immer noch Herausragendes hervorzubringen vermag.

The Monochrome Set wiederum, eine UK-Band, die schon vor 30 Jahren klang wie Franz Ferdinand heute, kratzte bei ihrer Show nach einem elenden Beginn am Ende mit Hits wie Jacob’s Ladder doch noch die Kurve, und Money Mark, der durchgeknallte Beastie-Boys-Keyboarder und vergnügliche Alleinunterhalter, pflegte Soul und Funk: Im Trio führte er vor, dass er nämliche Stile seinen Tasten ebenso zu entlocken vermag wie der Stromgitarre. Sein Auftritt allein war die Reise schon wert.

Primavera Sound

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31. Mai 2011

Stauwarnung fürs Nova Rock

Dreitägiges Open-Air-Konzert zu Pfingsten in Nickelsdorf – Stündliche Sonderzüge und Shuttlebusse werden bereitgestellt

Das Nova Rock, Österreichs größtes Rockfestival, kollidiert dieses Jahr auch mit dem Feiertagsverkehr: Das Open-Air-Spektakel findet von 11. bis 13. Juni und somit zu Pfingsten statt. Tausende Autos werden bereits am Freitagvormittag über die Ostautobahn (A4) in Richtung Nickelsdorf rollen, um früh bei den Pannonia Fields II einzukehren. Um Staus zu vermeiden, gibt es wie in den Vorjahren die Möglichkeit, mit dem Bus oder der Bahn zum Festival zu reisen.

Um 10.00 Uhr werden am Freitagvormittag, also einen Tag bevor die ersten Bands auf die Bühnen treten, die Tore zum Nova Rock geöffnet. Deshalb fährt sowohl am Freitag als auch am Samstag stündlich ein Sonderzug der ÖBB vom Wiener Westbahnhof direkt nach Nickelsdorf. Shuttlebusse bringen Festivalbesucher vom Bahnhof zum Gelände. Retour kommen Fans auf die gleiche Weise: täglich nach Konzertende und verstärkt am Dienstag bis 13.45 Uhr.

Außerdem bringt ein Bus die Fans vom Busterminal U3-Erdberg in Wien direkt zur Haltestelle bei den Pannonia Fields II und in der Nacht wieder zurück. Auch im Burgenland gibt es die Möglichkeit mit einem Shuttle zum Gelände zu gelangen. Ab Mattersburg und Eisenstadt steht dieser bereit.

Für all jene, die mit dem eigenen Pkw anreisen, raten die Veranstalter, die Spitzenzeiten – Freitag später Nachmittag bzw. früher Abend und Samstagmittag – zu meiden. Für Eltern und Freunde, die ihre Nova Rocker zum Festival bringen wollen, wurde am Sportplatz ein „Bringen und Abholen“-Platz eingerichtet. Von dort aus fährt regelmäßig ein Shuttlebus zum Gelände. Nur Ein- oder Aussteigen direkt bei den Pannonia Fields II ist nicht möglich.

Beim diesjährigen Nova Rock dominieren die harten Klänge: Rock- und Heavy-Metal-Bands wie Iron Maiden, Korn, Danzig, Motörhead, Volbeat, Flogging Molly, Guano Apes, Thirty Seconds To Mars, Wolfmother, The Darkness, Linkin Park und System Of A Down gehören zum Line Up. Gespannt darf man auf den Auftritt von Otto (Waalkes) & den Friesenjungs zum Abschluss des Programms sein. Zuletzt wurden noch The Sisters Of Mercy verpflichtet.

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24. Mai 2011

Go the Fuck to Sleep

So wie Milliarden Eltern hatte Adam Mansbach eine harte Zeit, als seine Tochter im Alter von zweieinhalb Jahren nie einschlafen konnte. Und genauso wie die meisten anderen Eltern hegte auch er nicht nur freundliche Gedanken gegenüber seiner Tochter.

Das ist normal, wie in Elternratgebern nachzulesen ist – und als Psychohygiene wichtig, solange den Gedanken keine Worte oder Taten folgen. In Zeiten von Facebook postet der Mensch seinen Frust. Mansbach schrieb sinngemäß in sein Profil, dass er statt eines Kinderbuchs gerne das Buch „Go the Fuck to Sleep“ vorlesen würde.

Seine Freunde waren so begeistert, dass Mansbach tatsächlich dieses Kinderbuch schrieb, für den kleinen Verlag Akashic Books und selbstverständlich mit dem Hinweis, dass man das Buch besser nicht den Kleinen vorlesen sollte. Darin sind Zeilen enthalten wie:

„Ich weiß, dass Du keinen Durst hast“

„The eagles who soar through the sky are at rest / And the creatures who crawl, run and creep. / I know you’re not thirsty. That’s bullshit. Stop lying. / Lie the fuck down, my darling, and sleep“ (zitiert nach dem britischen „Guardian“). Also: Alle Tiere schlafen – und dann: „Ich weiß, dass Du keinen Durst hast. Das ist Bullshit. Hör auf zu lügen. Leg Dich verdammt noch einmal nieder und schlaf, meine Süße.“

Und: „The cubs and the lions are snoring. / Wrapped in a big snuggly heap. / How come you can do all this other great shit / But you can’t lie the fuck down and sleep?“ Also – auch die kleinen Tiere und Löwen schlafen – „Wie kommt es, dass Du jeden Scheißdreck voll beherrschst / Aber verdammt noch einmal Niederlegen und Schlafen nicht?“ Wer schon einmal kleine Kinder großgezogen hat, der kann die existenzielle Verzweiflung verstehen, die aus diesen Worten spricht.

Plötzlicher Riesenhype

Die Veröffentlichung war noch immer eher als Scherz gedacht, die Auflage entsprechend klein. Doch plötzlich war im Netz eine PDF-Version unterwegs und wurde zum viralen Phänomen. Man verlegte kurzerhand den Erscheinungstermin von Oktober auf Juni und erhöhte die Auflage. Was dann passierte, übertraf die Erwartungen aller Beteiligten: Das Buch wurde – einen Monat vor seinem Erscheinen – nur aufgrund von Vorbestellungen zum meistverkauften Literaturtitel bei Amazon – wohlgemerkt, ein 32 Seiten starkes Kinderbuch, das man keinem Kind vorlesen kann.

Mansbachs Tochter ist nun drei Jahre alt, sie schläft jetzt besser ein, das Schlimmste ist vorüber. Gegenüber dem „Guardian“ sagt der Vater, dass er und seine Frau die ersten dankbaren Leser des Buchs gewesen seien. Das Buch fange die Frustration ein, „in einem Raum mit einem Kind zu sein und das Gefühl zu haben, diesen Raum nie wieder verlassen zu können und also den Rest seines Lebens in diesem dunklen Raum verbringen werden zu müssen, wo man versucht, sein Kind zum Einschlafen zu animieren“.

„Du gehst jetzt nicht aufs Klo“

Später überzeugte das Buch auch prominente Testleser, wie auf der Website des Verlages nachzulesen ist. Der momentan groß gefeierte Autor Jonathan Lethem etwa nannte die Verse „total genial“. David Byrne (Ex-Talking-Heads-Frontman): „Ein Kinderbuch für Erwachsene – ich habe mich kaputtgelacht.“ Das Prinzip hinter dem Buch ist der Tabubruch – und wie gut der tun kann, wissen wir spätestens seit Freud und seinem Buch über die Funktionsweise der Witze.

Ein letztes Zitat sei hier noch wiedergegeben, weil man auf die deutsche Version wohl noch lange warten wird müssen, falls sie überhaupt jemals kommt: „All the kids from day cara are in dreamland. / The froggie has made his last leap. / Hell no, you can’t go to the bathroom. / You know where you can go? The fuck to sleep.“ Frösche und Kinder schlafen also – und: „Verdammt noch einmal nein, Du gehst jetzt nicht aufs Klo. / Weißt Du, was Du machen kannst? Verdammt noch einmal einschlafen.“



23. Mai 2011

Fremdschämen kann man messen

Das Beobachten peinlicher Situationen anderer aktiviert die selben Hirnareale wie beim Anblick körperlicher Schmerzen

Fremdschämen kann man im Gehirn deutlich messen. Beim Beobachten peinlicher Situationen anderer würden die gleichen Hirnareale aktiviert wie beim Anblick körperlicher Schmerzen eines Mitmenschen, erklärten Sören Krach und Frieder Paulus von der Universität Marburg. Für ihre im Wissenschaftsmagazin PloS One erschienenen Studie hatten sie Gehirnströme von 32 Menschen untersucht, die Zeichnungen von Menschen in peinlichen Situationen angeschaut hatten.

Eine Fragebogenstudie mit 600 Probanden bestätigte ein weiteres Ergebnis der Messungen: Das Phänomen stellvertretender Scham ist unabhängig davon, ob die betroffene Person selbst die Situation als peinlich wahrnimmt. So tritt das Gefühl des Fremdschämens auch auf, wenn jemand mit offener Hose durch die Fußgängerzone geht, dies selbst aber gar nicht bemerkt.

Ausdrücklich erwähnen die Forscher beim Phänomen Fremdschämen Fernsehsendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“, in denen sich Kandidaten vor Millionen Zuschauern präsentieren. Sie lieferten Fremdscham dank peinlicher Situationen frei Haus, auch ohne dass die Betroffenen davon selbst etwas mitbekämen, erklärten die Forscher.

Abstract
PloS One: Your Flaws Are My Pain: Linking Empathy To Vicarious Embarrassment