Archive for ‘Die Musik’

4. Juni 2011

Sex mit Elvis

Eine Naturgewalt kehrt zurück: Die New Yorker Jon Spencer Blues Explosion gastiert am Montag im Wiener Flex

Im Moment stürzen sich auf Ebay dutzende Nerds wegen der jüngsten Jon-Spencer-Blues-Explosion-Veröffentlichung in die Schulden. Es ist eine Split-Single mit den Melvins: Beide Bands covern darauf den Ram-Jam-Song Black Betty.

Die New Yorker Jon-Spencer Blues Explosion (JSBX) hat das Lied für einen VW-Käfer-Spot eingespielt – auf ihre Art, denn im Namen Blues Explosion steckt die von Muddy Waters formulierte Evolutionstheorie des Rock ’n‘ Roll: „The Blues had a baby and they named it Rock ’n‘ Roll.“

Jonathan Spencer und sein Trio vertonen den Geburtsmoment und die Überführung des Blues in dessen wilden Nachfolger mit selten erlebter Besessenheit. Begonnen hat Spencer damit in den frühen 1990ern, nachdem er die Band Pussy Galore sein hat lassen.

Von deren Garagen- und Trümmer-Rock wandte er sich dem süffigeren Blues und Rock ’n‘ Roll zu, den er mit Judah Bauer und Russell Simins mit Wucht und Sexiness neu definierte. Die Welt war dazu noch nicht bereit, zumindest nicht in dem Ausmaß, das den White Stripes wenig später mit derselben Idee eine Weltkarriere ermöglichte.

Immerhin: Spencer war zusammen mit seiner Frau Christina einer der schärfsten Underground-Hipster der 1990er, der Elvis der Generation Punk. Nach einem Jahrzehnt Inexistenz – während deren Spencer hauptsächlich die Band Heavy Trash betrieben hat – kehrt er nun mit der Blues Explosion zurück, am Montag gastiert diese Rabiatperle im Wiener Flex.

Zurzeit gibt man ein Best-of-Programm aus Welthits, die nie welche wurden: Bellbottoms, Do You Wanna Get Heavy?, Afro … Zur Exekution reichen zwei Gitarren, Schlagzeug und dann und wann ein Theremin, um die Ekstase und den Irrsinn zu potenzieren.

Nächstes Wochenende findet im Burgenland das Festival Nova Rock statt. Im Vergleich zur Blues Explosion treten bei diesem Musikantenstadl unter freiem Himmel eigentlich nur Daumenlutscher auf. Tun Sie sich doch einen Gefallen, und schauen Sie sich das hier an:

JSBX live: 6. 6. Flex, 20.00

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3. Juni 2011

Wiener Donauinselfest: Programm veröffentlicht

80er-Veteranen Europe unter den Headlinern

Wien – Auch in seiner 28. Auflage fällt das – am Dienstagabend von Cheforganisator Sascha Kostelecky präsentierte – Programm des Donauinselfestes betont heterogen aus. Das dreitägige Freiluftspektakel bringt ab 24. Juni bei freiem Eintritt unter anderem das spirituell angehauchte Soulkollektiv Söhne Mannheims, die 80er-Veteranen Europe, das Avantgarde-Volksmusik-Duo Attwenger oder Schlager-Granden von Wörther- bis Edlseer auf die Bühne.

Trotz insgesamt 18 Bühnen hat man sich in Sachen Musikangebot heuer jedoch leicht zurückgenommen. Ein Grund: Die Ö3- fusioniert bekanntlich mit der Radio-Wien- zur ORF-Bühne, auf die  Radio-Arabella-Bühne wird verzichtet. Dies wird von den Organisatoren mit einem neuen Sicherheitskonzept argumentiert, das neben verstärkter Videokontrolle auch mehr Freiraum für die Besucher vorsieht.

Das divergierende Hörerpublikum der Radiosender schlägt sich durchaus im Line-up nieder. Konsenspop a la Train, James Cottriall oder Ich+Ich changiert mit Nostalgieausflügen in die 1980er mit etwa Peter Cornelius  oder den Headlinern Europen.  Die FM4-Bühne konzentriert sich erneut auf Acts der als alternativ geltenden Szene. Die Londoner Hip-Hop-Ikone Roots Manuva oder die Indiepop-Combos Chikinki und Shout Out Louds treffen auf österreichische Genregrößen wie Kreisky und Nino aus Wien.

Auf der Rockbühne bestreiten die Happy, 3 Feet Smaller und Danko Jones  die Abende, Russkaja sorgt   für Balkananstrich. Die Schlager- und Volksmusikbühne wird nach ihrer Einführung im Vorjahr nun aufgewertet, der Bogen spannt sich von den Alpenrebellen und Paldauern über Simone und Elisabeth Engstler bis zu Seppli & Florian und Musikantenstadl-Präsentator Andy Borg.

Anspruchsvolle Unterhaltung heftet sich einmal mehr das Ö1-Zelt auf die Fahnen. Geboten wird u.a. Kabarett und Singer-Songwritertum: Lukas Resetarits und Andreas Vitasek teilen sich die Bühne mit Clara Luzia und Francis International Airport. Um verstärkt Publikum bereits an den Nachmittagen anzulocken, wird nicht nur das Familienprogramm erweitert, sondern eine eigene „Action & Fun-Insel“ inklusive BMX- und Skate-Shows aus der Taufe gehoben.  DJs, Auftritte von Gewinnern eines im Vorfeld veranstalteten Bandcontests und Kostproben aus dem Country-Oeuvre ergänzen den Stilmix der drei Tage. (APA)

Donauinselfest (offical homepage)

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3. Juni 2011

Traurig tanzen

Die kanadische Formation Austra um Katie Stelmanis verbindet auf „Feel It Break“ den Synthie-Pop der 1980er-Jahre mit Gothic und klassisch gebildetem Gesang

Katie Stelmanis (c) Austra

Theatralische Popmusik auf den Grundlagen von klassischem Synthie-Pop aus den 1980er-Jahren unter besonderer Berücksichtigung der damals wie heute im Untergrund prosperierenden Gothic-Szene erlebt in der Szene spätestens seit Acts wie Florence & The Machine oder The Knife oder Zola Jesus ein kleines Comeback. Die junge kanadische, in Toronto lebende Sängerin Katie Stelmanis fügt sich dabei mit ihrer Band Austra und dem Debüt Feel It Break ohne weiteres Aufsehen nahtlos in dieses Phänomen. Ihr Hit Lose It, eine freundliche Variation alter ästhetischer Vorgaben von Genreheld Marc Almond und seinem Duo Soft Cell mit ihrem Durchbruch Non-Stop Erotic Cabaret von 1981 und Klassikern wie Tainted Love, Memorabilia oder Say Hello, Wave Goodbye, läuft auf Heavy Rotation. Und dieser Song definiert auch das gesamte Erscheinungsbild der insgesamt elf Stücke von Feel It Break.

Nicht etwa, dass Stelmanis und Austra dabei auch nur ähnlich hochwertige Meisterwerke des tragödischen Plastikpop gelingen. Immerhin ist die Kunst bei Austra streng retrospektiv angelegt, was beim Hören eher für nostalgische Gefühle als Hochstimmung bezüglich Innovation sorgt. Dennoch kann man den Liedern nicht jegliche Eigenständigkeit absprechen. Schließlich hat Katie Stelmanis beim Kinderchor der kanadischen Oper ebenso eine solide Gesangsausbildung genossen wie sie auch Viola und Klavier studierte.

Das führt dazu, dass im Hintergrund der Drumcomputer fröhlich rückwärtsgewandt programmiert wird und Bass-Ostinatos wie die spartanische Keyboardbegleitung in der Nachfolge Soft Cells keinerlei Neuwerte ergeben. Wie sich auch der helle wie kalte, tragödisch die oft queeren Songtexte durchdringende Gesang in den Refrains, mit dem man bisweilen Steine schneiden könnte, um dann während der Strophen interessant brüchig und lebensmüde bis zum nächsten Höhepunkt auszuharren, am Ende bezahlt macht.

Wer sich auf solch übermächtige Vorbilder beruft und dabei auch immer ein wenig die damaligen Hitparaden im Sinne Giorgio Moroders oder Depeche Modes mitdenkt, wird vom Vorwurf des reinen Kopistentums freigesprochen. Manchmal allerdings, das ist immer dann, wenn Katie Stelmanis die Nähe zur Esoterikheldin Enya oder zur Progpop-Übermutter Kate Bush sucht, kann auch der gute alte Synthie-Pop nichts retten.

Am Ende wird oft alles wieder gut: The Noise und The Beast, die beiden letzten Stücke, beweisen, dass Stelmanis nicht nur ihr Klavierstudium ernst genommen hat. The Noise zeigt auch, dass Austra im Zweifel nicht Depeche Mode hören, sondern lieber den abtrünnigen Depeche- Mode-Gründer Vince Clarke mit seinem späteren Duo Yazoo.

Austra (offical homepage)

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31. Mai 2011

Primavera Sound 2011 – Die Alten führen die Jungen vor

Vor dem Hintergrund der Unruhen in Barcelona fand am Wochenende das elfte Primavera Sound Festival statt – dort zeigte sich vor allem eines: Die Idole der Weltjugend sind die Alten

Das wirkliche Leben drang selten durch. Etwa als Pulp ihr Lied Common People den Demonstranten widmeten. Auch der als Keyboarder der Beastie Boys bekanntgewordene Money Mark solidarisierte sich mit den Opfern der katalanischen Polizei, die am vergangenen Wochenende in Barcelona dutzende Demonstranten krankenhausreif geprügelt hatte.

Mit rund 120.000 Besuchern an drei Tagen plus 20.000 Gästen bei Shows an den Tagen vor und nach dem eigentlichen Festival verzeichnete Primavera im elften Jahr seines Bestehens einen Besucherrekord. Zwar drückte dieser auf die Benutzerqualität, dennoch zählt es immer noch zu den erträglichsten Großfestivals, was vor allem dem angenehmenen Publikum geschuldet ist – und dem Programm. Denn allein mit jenen Bands, die man nicht sieht, ließen sich schon zwei, drei Qualitätsfestivals programmieren.

Zum Konsenshöhepunkt 2011 zählte die Reunion-Show der britischen Band Pulp. Nach zehn Jahren Inexistenz kehrte die aus Sheffield stammende Formation triumphal wieder: Ihr Programm rief in Erinnerung, welch rare Qualität Jarvis Cocker und Co in den 1990er-Jahren produzierten, als sie mit dem Album Different Class (1995) dem damaligen Brit-Pop-Boom seinen Höhepunkt verpassten; mit Songs wie erwähntem Common People, Disco 2000 oder Something Changed. Das mit Do You Remember The First Time? eröffnete Konzert zeigte Cocker auf der Höhe seiner Kunst: den ewigen Dandy, immer zart neben der Spur, dabei voll bei sich. Ein Entertainer, der sein Publikum ab dem ersten Moment mit dem kleinen Finger dirigierte. Die Band neben ihm führte derweil vor, wie man Kraft und Fragilität eloquent handhabt. Erst ihre Wiederkehr führte nun vor Augen, wie sehr man Pulp vermisst hatte. Ein Österreich-Termin? Nicht in Sicht.

Auf derselben Bühne sorgte PJ Harvey tags darauf für eine weitere Weihestunde, als sie ihr aktuelles Album Let England Shake live präsentierte. Dabei zeigte sich, dass sogar ihre ruhigen Stücke massenwirksam sein können, wenn das Publikum mitzieht. Unterstützt wurde die mit Federn geschmückte Britin von einer Band, in der neben Gitarrist John Parish der Multiinstrumentalist und frühere musikalische Kopf von Nick Caves Bad Seeds spielte: Mick Harvey. Da konnte nicht viel schiefgehen.

Zeitgleich kam es auf der danebenliegenden Bühne zu einer weiteren Pflichtveranstaltung, die einen zum Pendeln zwang: dem Auftritt von Matthew Dear und seiner Band.

Ein Pfau in Weiß

Der US-Amerikaner Dear überführte seine aus dem Minimal Techno kommende Musik in einen kontrolliert ekstatischen Dance-Pop. Dafür fand neben Schlagzeug, Gitarre und Bass eine Trompete Einsatz, die Dears Musik unter anderen Vorzeichen eine ähnliche Erhabenheit verlieh, wie es PJ Harveys Vortrag vermochte.

Doch wo Harvey wie frisch aus dem Märchenwald auf der Bühne stand, stakste Dear im weißen Anzug wie ein Edelstricher auf Extasy über die Bühne – permanent Laptop, Mikro und diverses Scheppergerät im Einsatz. Niederschwellig euphorische Stücke wie Fleece On Brain wurden so zu richtigen Floorfillern. Doch Dear – dem Kaulquappendasein erst kurz entwachsen – zählte zu den Ausnahmen: Denn wenn sich bei Primavera etwas gezeigt hat, dann, wie wenig junge Musiker über eine Bühnenpräsenz verfügen, die über fadgasiges Herumstehen und hohles Posing hinausreicht. Das gilt für hippe Bands wie Deerhunter oder Warpaint bis zu Yuck – allesamt nicht zum Anschauen. Ein Drama in Indie-Uniformen und auf dünnen Beinchen.

Diesbezüglich ungefährdet war David Thomas, der mit der Band Pere Ubu deren Debütalbum The Modern Dance aus 1978 in seiner Gesamtheit darbot – gewürzt mit Anekdoten, die der wie Orson Welles aussehende Bandvorstand buchstäblich süffig reichte.

M. Ward, ein großer US-amerikanischer Songwriter, überzeugte seinerseits mit einem mitreißenden Konzert, das zeigte, dass das leidlich ausgeblutete Americana-Genre immer noch Herausragendes hervorzubringen vermag.

The Monochrome Set wiederum, eine UK-Band, die schon vor 30 Jahren klang wie Franz Ferdinand heute, kratzte bei ihrer Show nach einem elenden Beginn am Ende mit Hits wie Jacob’s Ladder doch noch die Kurve, und Money Mark, der durchgeknallte Beastie-Boys-Keyboarder und vergnügliche Alleinunterhalter, pflegte Soul und Funk: Im Trio führte er vor, dass er nämliche Stile seinen Tasten ebenso zu entlocken vermag wie der Stromgitarre. Sein Auftritt allein war die Reise schon wert.

Primavera Sound

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31. Mai 2011

Stauwarnung fürs Nova Rock

Dreitägiges Open-Air-Konzert zu Pfingsten in Nickelsdorf – Stündliche Sonderzüge und Shuttlebusse werden bereitgestellt

Das Nova Rock, Österreichs größtes Rockfestival, kollidiert dieses Jahr auch mit dem Feiertagsverkehr: Das Open-Air-Spektakel findet von 11. bis 13. Juni und somit zu Pfingsten statt. Tausende Autos werden bereits am Freitagvormittag über die Ostautobahn (A4) in Richtung Nickelsdorf rollen, um früh bei den Pannonia Fields II einzukehren. Um Staus zu vermeiden, gibt es wie in den Vorjahren die Möglichkeit, mit dem Bus oder der Bahn zum Festival zu reisen.

Um 10.00 Uhr werden am Freitagvormittag, also einen Tag bevor die ersten Bands auf die Bühnen treten, die Tore zum Nova Rock geöffnet. Deshalb fährt sowohl am Freitag als auch am Samstag stündlich ein Sonderzug der ÖBB vom Wiener Westbahnhof direkt nach Nickelsdorf. Shuttlebusse bringen Festivalbesucher vom Bahnhof zum Gelände. Retour kommen Fans auf die gleiche Weise: täglich nach Konzertende und verstärkt am Dienstag bis 13.45 Uhr.

Außerdem bringt ein Bus die Fans vom Busterminal U3-Erdberg in Wien direkt zur Haltestelle bei den Pannonia Fields II und in der Nacht wieder zurück. Auch im Burgenland gibt es die Möglichkeit mit einem Shuttle zum Gelände zu gelangen. Ab Mattersburg und Eisenstadt steht dieser bereit.

Für all jene, die mit dem eigenen Pkw anreisen, raten die Veranstalter, die Spitzenzeiten – Freitag später Nachmittag bzw. früher Abend und Samstagmittag – zu meiden. Für Eltern und Freunde, die ihre Nova Rocker zum Festival bringen wollen, wurde am Sportplatz ein „Bringen und Abholen“-Platz eingerichtet. Von dort aus fährt regelmäßig ein Shuttlebus zum Gelände. Nur Ein- oder Aussteigen direkt bei den Pannonia Fields II ist nicht möglich.

Beim diesjährigen Nova Rock dominieren die harten Klänge: Rock- und Heavy-Metal-Bands wie Iron Maiden, Korn, Danzig, Motörhead, Volbeat, Flogging Molly, Guano Apes, Thirty Seconds To Mars, Wolfmother, The Darkness, Linkin Park und System Of A Down gehören zum Line Up. Gespannt darf man auf den Auftritt von Otto (Waalkes) & den Friesenjungs zum Abschluss des Programms sein. Zuletzt wurden noch The Sisters Of Mercy verpflichtet.

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23. Mai 2011

Die US-Band Gang Gang Dance spielt auf „Eye Contact“ weltoffenen Pop zwischen Avantgarde und hybrider Weltmusik

Das neue Album des New Yorker Bandkollektivs Gang Gang Dance startet mit einer programmatischen Durchsage: „I can hear everything. It’s everything time.“ Und tatsächlich verhält es sich so, dass die insgesamt zehn sehr gern auch mit Endlos- oder Unendlichkeitssymbolen betitelten Stücke auf eine Form stilistischer Grenzenlosigkeit verweisen, die vor allem von einem Charakteristikum geprägt ist: Die „Songs“ des in Manhattan beheimateten Quartetts haben keinen Anfang – und sie nehmen sehr oft kein Ende.

Daraus folgt keinesfalls Beliebigkeit. Ähnlich wie die offenen Bandmodelle des deutschen Krautrock der 1970er-Jahre, allen voran Can aus Köln, aber auch Popol Vuh, haben sich die seit Anfang der 2000er-Jahre bestehenden Gang Gang Dance auf ihrem neuen Album Eye Contact für eine offene Versuchsanordnung entschieden. Stets mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Pop im weitesten Sinn im Hinterkopf, werden so während länglicher Improvisationen Songstrukturen entwickelt, die auf gemütlich groovender Rhythmusbasis einen multikulturellen Feuertopf aufkochen. Er erschließt sich gerade auch über die Herkunft der Bandmitglieder. Griechische Folklore, asiatische Melodieführung, dazu allerlei Zufütterung aus weltmusikalisch geprägten Plattensammlungen zwischen Karibik, Balkan-Polka und aktuellen Dancefloor-Mustern aus den Bereichen Grime oder House ergeben so bei Stücken wie Adult Goth, Chinese High oder Mindkilla ein zirpendes und klingelndes Durcheinander, das einzig von den Drumpatterns in halbwegs straffer Form gehalten wird.

Der mäusemäßige, aus verstopften Stirnnebenhöhlen kommende piepsende Gesang von Lizzie Bougatsos manövriert das Unternehmen zwar recht entschieden an etwaigen Verkaufshitparaden vorbei in Richtung eines längst überflüssig gewordenen Avantgarde-Postulats. Nicht umsonst haben Gang Gang Dance schon vor einigen Jahren beim Donaufestival gastiert. Speziell der Track Romance Layers aber legt nahe, dass Gang Gang Dance auch sehr viel technoiden Computer-R’n’B aus den 1980er-Jahren, wie etwa Janet Jacksons Album Control und dessen Hit Nasty, gehört haben.

(Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2011)

16. November 2010

Ride on the Wave de la Rave…

Um auf diese extra ordinäre Band wieder aufmerksam zu machen, gibt es hier ein Video von den Tangerine Turnpike…

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16. November 2010

Alles verranzt, verschissen, verkorkst, vermilbt

„Songs Of L. And Hate“: Christiane Rösinger schreibt Klagelieder zum Mitsingen und Mitleiden

50 Jahre alt wird Christiane Rösinger kommenden Jänner und kann immer noch so authentisch traurig klingen wie ein kleines Mädchen, dem die Eiskugel aus der Tüte auf den Boden geplumpst ist. – Was den Tonfall anbelangt, mind you, nicht die Wortwahl: So verschlissen und verrissen, so verbissen und verschissen / So verschleimt und verkeimt und versport … Der Song „Verloren“ kommt mit nicht mehr als einer Aneinanderreihung von Partizipien, einem einfachen Pianoakkord und in der Steigerungsstufe mit Schlagzeug und Gitarre aus – und, oh, welche Dramatik, kommt dabei doch zustande. Die Mundharmonika am Schluss hätt’s gar nicht mehr gebraucht.

ast sieht es wie ein Familienfoto aus, wenn Rösinger gemeinsam mit einem weiteren Wahlberliner das Cover von Bob Dylans Album „Bringing It All Back Home“ aus 1965 nachstellt: Sie gibt den Altmeister selbst, Andreas Spechtl von Ja, Panik wirft sich gekonnt in die Pose der Ehefrau von Dylans damaligem Manager. Nur das herumliegende popkulturelle Verweisgut hat sich etwas aktualisiert – unter anderem ragt im Hintergrund die Debüt-Platte von Rösingers erster Band, den Lassie Singers, ins Bild. Ist auch schon wieder fast 20 Jahre her.

„Aber fragt mich einer: Wie ist dir’s zumute? Grad so, als ob das Herz recht angenehm verblutet.“

Nach dem Ende der Lassie Singers legte Rösinger einen fliegenden Wechsel zu Britta hin, und spätestens hier wurde es zur Trademark, die schon zuvor oft und gerne geschmähte Liebe nur noch als das L-Wort zu bezeichnen … daher die logische Abwandlung des (fast) gleichnamigen 1971er Albumtitels von Leonard Cohen. Womit das Zitate-Spiel – trotz Zusammenarbeit mit Spechtl, der derlei Strategien mit seiner Band auf ein neues Level gehoben hat – auch schon wieder vorbei ist. „Songs Of L. And Hate“ enthält auch nur eine einzige Coverversion, nämlich Jackson Brownes „These Days“, das die meisten unweigerlich mit Nicos dunkler Stimme verbinden werden. In Rösingers ins Deutsche übertragener Version wird der Schwebezustand, in dem sich der Song zu befinden scheint, noch leichter – zugleich schlägt Rösinger damit eine Brücke zu ihrem legendären Lied „Phase“ aus Lassie Singers-Zeiten, das bei einem Blutdruck von 15:6 zustande gekommen sein muss.

Rösinger bzw. Britta gebührt auch die Ehre, Ja, Panik schon lange vor dem später einsetzenden Hype Rosen gestreut zu haben – die musikalische Zusammenarbeit mit Spechtl kann daher nicht verwundern. Die Breaks und Tempowechsel in den Songs „Es geht sich nicht aus“ und „Es ist so arg“ erinnern am stärksten an das, was man von Spechtls Band kennt – und beide, im Bundesdeutschen nicht so übliche, Formulierungen unterstreichen den Einfluss noch einmal. Spechtl spielt Gitarre, Schlagzeug und Klavier und hält sich gesanglich weitgehend im Hintergrund. Das Gstanzl „Berlin“ stimmen die beiden aber gemeinsam an: „Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern und die Allerblödsten es gleich weitertwittern / Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen / Ja, dann sind wir alle in Berlin …“ Wäre leicht, das beim nächsten Gastspiel in „hier in Wien“ umzumodeln, schließlich passt es 1:1.

„Die Midlife-Crisis? Die hatte ich doch schon! Ich warte auf die Altersdepression.“

Nur selten geht es ins Uptempo, wie beim Lassie-Singers-Boogie „Haupsache raus“; meistens gibt Rösinger zu sparsamer Instrumentierung die Knef des Prekariats. Während Hildegard vor 60 Jahren aber noch Friedrich Meyers „Illusionen“ besang, ist Rösinger schon lange bei der „Desillusion“ angekommen. Insbesondere das Stück „Sinnlos“ enthält einen derartigen Overkill an Elend, dass man dabei nicht ganz ernst bleiben kann. Klar, Rösinger spielt mit der Traurigkeit und bietet sie als Gemeinsamkeit schaffende (und damit letztlich aufbauende und sogar aufheiternde) Erfahrung an. Dass das durchaus drollig wirken und damit zum Problem werden kann, wenn frau etwas wirklich ernst meint, dürfte Rösinger aber bewusst sein.

… weshalb einige Stücke jenseits aller Liebäugelei liegen: Sei es „Es geht sich nicht aus“, die Schimpftirade „Verloren“ oder das mit einer sanft gezupften Gitarre und ein wenig Hall auskommende Schlussstück „Kleines Lied zum Abschied“. Da wird nicht auf Pointen und Mitsingen geschielt, das ist einfach nur ehrlich: „Und wär es nicht so furchtbar traurig / Ich hätt mich tot gelacht.“

16. November 2010

Dieser Weg wird kein leichter sein

Keith Richards veröffentlicht mit „Life“ seine seit Jahren angekündigte Autobiografie

Der Gitarrist der Rolling Stones festigt damit seinen Status als Erfinder von Sex, Drogen und Rock’n’Roll.

Der alte Mann auf dem Sofa kratzt sich behaglich im Schritt. Dann nimmt er einen kräftigen Schluck Jack Daniels und erzählt dem Walkman mit leichtem Zungenschlag vom Krieg: „Sie haben sich ein Fantasiebild von mir gemalt, sie haben mich gemacht, die Leute da draußen haben sich diesen Volkshelden geschaffen. Ist ja auch in Ordnung. Ich werde alles tun, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie wollen, dass ich Dinge tue, die sie nicht tun können. Sie haben ihre Arbeit, sie haben ihr Leben, sie sind Versicherungsvertreter – aber gleichzeitig lebt in ihrem Inneren ein tobender Keith Richards. Sie haben das Drehbuch geschrieben, und darin bist du der Volksheld, also halte dich dran. Und ich habe mein Bestes gegeben.“

Gut zehn Millionen US-Dollar Vorschuss hat Keith Richards vor Erscheinen seiner jetzt im gesamten mit Major Tom und Freizeitchemie erreichbaren Universum in diversen Sprachen wie Englisch, Französisch. Mandarin, Bantu und Fuckyou vorliegenden Autobiografie mit dem lakonischen Titel Life erhalten. Das sind von hier bis zum Mond so viele Whiskeyflaschen als Behelfstreppe, dass man gar nicht ins Leere steigen muss, um zu Fuß dorthin zu gelangen. Anders gesagt: Wer wissen will, wie sehr ein Mensch leidet, muss ihm unbedingt beim Feiern zusehen. Keith Richards hat diesbezüglich schon Party gemacht, als wir noch gar nicht geboren waren.

In der mit über 700 Seiten gar nicht einmal so schmal bemessenen deutschen Übersetzung des weltweit bekanntesten Vertreters in Sachen Ausschweifung mit musikalischer Begleitung finden sich allerdings nicht die großen unbekannten, noch nie gehörten und sensationellen Wahrheiten, die man im marketingtechnisch hochgejazzten Vorfeld von Life erwarten wollte.

Der Weg von Keith Richards ist sicher kein leichter gewesen. Vor allem in Sachen toxischer Missbrauch kann man dem mittlerweile 66-jährigen Gitarristen und prototypischen Zerrbild eines Rockmusikers absolut gar nichts vormachen. Jemand, der nach jahrzehntelanger Heroinabhängigkeit noch immer auf dutzenden Seiten darüber schreibt, dass ihm die Droge dazu diente, konzentrierter und effizienter arbeiten zu können, um im gleichen Atemzug der Weltjugend einen mahnendes „Don’t try this at home! “ nachzurufen, hat aber seine sieben Zwetschken definitiv nicht beisammen.

Man muss als Leser gar nicht besonders sittlich gefestigt sein, um sich bei der Lektüre einer mit einstweiligen Haftbescheiden, Einreiseverboten und Bewährungsauflagen reichlich gesegneten Biografie des Rolling-Stones-Faktotums heftig erregen zu können. Allein die Schilderung seiner Europa-Tournee Mitte der 1970er-Jahre mit seinem damals im Vorschulalter befindlichen Sohn schreit nach Jugendamt. Als einziges vernunftbegabtes Familienmitglied einer mit dem Ex-Model Anita Pallenberg als Mutterbiest ideal besetzten Junkie-Sippe war Sohn Marlon damals damit betraut, den guten Vater rechtzeitig vor den Konzerten aus dem Wachkoma zu holen. Die Kollegen aus der Firma trauten sich nicht, weil Keith stets mit einem Revolver unter dem Kissen zu Bett ging. Während der Reise durch diverse Mehrzweckhallen und Polizeihauptkommissariate ist man dann auch schnell dafür motiviert, Mick Jagger zu rehabilitieren.

Sex und Kalauer

Von Keith Richards mit diversen Schwanzlängenvergleichen und Kosenamen wie „Brenda“ oder „Her Majesty“ verhöhnt, war immerhin der als geld- und machtgierig verschrieene Sänger dafür verantwortlich, dass unser Spargeltarzan an der Riffgitarre weitermachen durfte, weil er mehrere Male kurzfristig erfolgreich auf Entzug geschickt und vor dem Gefängnis bewahrt werden konnte.

Keith Richards selbst kalauert sich derweil als der Welt ältester Teenager (strafmündig, aber nicht für voll zu nehmen) durch Flughafenwitze mit Gummihandschuh. Er navigiert zwischen Brüsten von dicken schwarzen Muttergefühlsaufbringerinnen in den frühen 1960er-Jahren (Die USA galten für Briten seit jeher als Land, in dem man Sex haben kann!) und landet bei der Frau seines besten Freundes. Richards bedauert kaltschnäuzig den frühen und immer wieder von Mord- und Verschwörungstheorien umwaberten Tod von Stones-Gitarrist Brian Jones im Swimmingpool. Keith Richards dazu: „Wahrscheinlich ist er jemandem auf die Nerven gegangen.“ Und es wird in diesem Buch auch sonst so ziemlich alles unternommen, um zwischen Marokko (Drogen), West Sussex (harte Drogen), Kanada (absurd harte Drogen) und New York (kontinentalplattenverschiebende, mächtig harte Drogen) unvernünftig und asozial zu bleiben.

Der große Wurf, als den diese Anekdotenhäufung beworben wird, ist Keith Richards nicht einmal im Ansatz gelungen. Zu gallig klingen die sexistischen Witzchen („Feministinnen, was wären sie ohne die Rolling Stones?“) oder die ermüdenden Beleidigungen seiner „Arschloch-Freunde“, um über eines hinwegtäuschen zu können: Keith Richards als altes Riffmonster der einst besten Band der Welt hat seit 1980 keinen anständigen Song mehr zustande gebracht. Alles was danach kam und nicht ganz peinlich klingt, stammt aus der Feder von Lebensfeind Mick Jagger. Prost Mahlzeit.

Keith Richards interview Andrew Marr Show Oct 2010 Part 1

5. Januar 2010

Reunion von Soundgarden ist fix

Chris Cornell bestätigt lange schwelende Gerüchte: „Die zwölfjährige Pause ist vorbei“

Die Grunge-Band Soundgarden („Black Hole Sun“), die sich 1997 aufgelöst hatte, kommt wieder zusammen. Schon das ganze Jahr 2009 hindurch hatte es Gerüchte über eine anstehende Reunion gegeben, nun wurde sie vom ehemaligen Frontmann Chris Cornell bestätigt, wie der „Rolling Stone“ berichtet.

Cornell erklärte via Twitter: „Die zwölfjährige Pause ist vorbei.“ Ein Link zur neuen, noch rudimentären, Website „Soundgarden World“ war beigefügt, genaue Informationen über Live-Auftritte oder gar neue Studioaufnahmen gibt es aber noch keine.

Bereits 2009 hatte sich die Band teilweise wiedervereinigt: Kim Thayil, Ben Shepherd und Matt Cameron spielten zusammen bei einem Konzert in Seattle. Cornell war damals nicht dabei – er war im vergangenen Jahr noch mit seinem jüngsten Solo-Album „Scream“ beschäftigt, für das er mit Fließband-Produzent Timbaland zusammenarbeitete.

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