Dieser Weg wird kein leichter sein

Keith Richards veröffentlicht mit „Life“ seine seit Jahren angekündigte Autobiografie

Der Gitarrist der Rolling Stones festigt damit seinen Status als Erfinder von Sex, Drogen und Rock’n’Roll.

Der alte Mann auf dem Sofa kratzt sich behaglich im Schritt. Dann nimmt er einen kräftigen Schluck Jack Daniels und erzählt dem Walkman mit leichtem Zungenschlag vom Krieg: „Sie haben sich ein Fantasiebild von mir gemalt, sie haben mich gemacht, die Leute da draußen haben sich diesen Volkshelden geschaffen. Ist ja auch in Ordnung. Ich werde alles tun, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie wollen, dass ich Dinge tue, die sie nicht tun können. Sie haben ihre Arbeit, sie haben ihr Leben, sie sind Versicherungsvertreter – aber gleichzeitig lebt in ihrem Inneren ein tobender Keith Richards. Sie haben das Drehbuch geschrieben, und darin bist du der Volksheld, also halte dich dran. Und ich habe mein Bestes gegeben.“

Gut zehn Millionen US-Dollar Vorschuss hat Keith Richards vor Erscheinen seiner jetzt im gesamten mit Major Tom und Freizeitchemie erreichbaren Universum in diversen Sprachen wie Englisch, Französisch. Mandarin, Bantu und Fuckyou vorliegenden Autobiografie mit dem lakonischen Titel Life erhalten. Das sind von hier bis zum Mond so viele Whiskeyflaschen als Behelfstreppe, dass man gar nicht ins Leere steigen muss, um zu Fuß dorthin zu gelangen. Anders gesagt: Wer wissen will, wie sehr ein Mensch leidet, muss ihm unbedingt beim Feiern zusehen. Keith Richards hat diesbezüglich schon Party gemacht, als wir noch gar nicht geboren waren.

In der mit über 700 Seiten gar nicht einmal so schmal bemessenen deutschen Übersetzung des weltweit bekanntesten Vertreters in Sachen Ausschweifung mit musikalischer Begleitung finden sich allerdings nicht die großen unbekannten, noch nie gehörten und sensationellen Wahrheiten, die man im marketingtechnisch hochgejazzten Vorfeld von Life erwarten wollte.

Der Weg von Keith Richards ist sicher kein leichter gewesen. Vor allem in Sachen toxischer Missbrauch kann man dem mittlerweile 66-jährigen Gitarristen und prototypischen Zerrbild eines Rockmusikers absolut gar nichts vormachen. Jemand, der nach jahrzehntelanger Heroinabhängigkeit noch immer auf dutzenden Seiten darüber schreibt, dass ihm die Droge dazu diente, konzentrierter und effizienter arbeiten zu können, um im gleichen Atemzug der Weltjugend einen mahnendes „Don’t try this at home! “ nachzurufen, hat aber seine sieben Zwetschken definitiv nicht beisammen.

Man muss als Leser gar nicht besonders sittlich gefestigt sein, um sich bei der Lektüre einer mit einstweiligen Haftbescheiden, Einreiseverboten und Bewährungsauflagen reichlich gesegneten Biografie des Rolling-Stones-Faktotums heftig erregen zu können. Allein die Schilderung seiner Europa-Tournee Mitte der 1970er-Jahre mit seinem damals im Vorschulalter befindlichen Sohn schreit nach Jugendamt. Als einziges vernunftbegabtes Familienmitglied einer mit dem Ex-Model Anita Pallenberg als Mutterbiest ideal besetzten Junkie-Sippe war Sohn Marlon damals damit betraut, den guten Vater rechtzeitig vor den Konzerten aus dem Wachkoma zu holen. Die Kollegen aus der Firma trauten sich nicht, weil Keith stets mit einem Revolver unter dem Kissen zu Bett ging. Während der Reise durch diverse Mehrzweckhallen und Polizeihauptkommissariate ist man dann auch schnell dafür motiviert, Mick Jagger zu rehabilitieren.

Sex und Kalauer

Von Keith Richards mit diversen Schwanzlängenvergleichen und Kosenamen wie „Brenda“ oder „Her Majesty“ verhöhnt, war immerhin der als geld- und machtgierig verschrieene Sänger dafür verantwortlich, dass unser Spargeltarzan an der Riffgitarre weitermachen durfte, weil er mehrere Male kurzfristig erfolgreich auf Entzug geschickt und vor dem Gefängnis bewahrt werden konnte.

Keith Richards selbst kalauert sich derweil als der Welt ältester Teenager (strafmündig, aber nicht für voll zu nehmen) durch Flughafenwitze mit Gummihandschuh. Er navigiert zwischen Brüsten von dicken schwarzen Muttergefühlsaufbringerinnen in den frühen 1960er-Jahren (Die USA galten für Briten seit jeher als Land, in dem man Sex haben kann!) und landet bei der Frau seines besten Freundes. Richards bedauert kaltschnäuzig den frühen und immer wieder von Mord- und Verschwörungstheorien umwaberten Tod von Stones-Gitarrist Brian Jones im Swimmingpool. Keith Richards dazu: „Wahrscheinlich ist er jemandem auf die Nerven gegangen.“ Und es wird in diesem Buch auch sonst so ziemlich alles unternommen, um zwischen Marokko (Drogen), West Sussex (harte Drogen), Kanada (absurd harte Drogen) und New York (kontinentalplattenverschiebende, mächtig harte Drogen) unvernünftig und asozial zu bleiben.

Der große Wurf, als den diese Anekdotenhäufung beworben wird, ist Keith Richards nicht einmal im Ansatz gelungen. Zu gallig klingen die sexistischen Witzchen („Feministinnen, was wären sie ohne die Rolling Stones?“) oder die ermüdenden Beleidigungen seiner „Arschloch-Freunde“, um über eines hinwegtäuschen zu können: Keith Richards als altes Riffmonster der einst besten Band der Welt hat seit 1980 keinen anständigen Song mehr zustande gebracht. Alles was danach kam und nicht ganz peinlich klingt, stammt aus der Feder von Lebensfeind Mick Jagger. Prost Mahlzeit.

Keith Richards interview Andrew Marr Show Oct 2010 Part 1

Hinterlasse einen Kommentar