Wo die wilden Wandas wohnen

Gut schauma aus: Satiriker Dirk Stermann über ein seltsames Land namens Österreich und das, was Deutschen dort widerfahren kann

Das Auge, sagt Goethe, sieht sich selbst nicht, aber das gilt natürlich nicht nur für das Auge, das gilt auch für den Österreicher. Auch der Österreicher sieht sich selbst nicht. Und weil es uns Österreichern so häufig an einer adäquaten Selbstwahrnehmung mangelt, brauchen wir dringend Feedback von außen, wie zum Beispiel vom türkischen Botschafter oder von Dirk Stermann, der einen kongenialen Hälfte des hoch- und tiefkomischen Satirikerduos Stermann-Grissemann. Die sagen uns dann, wie wir wirklich sind.

Anders als die Schlagzeilen dieser Tage vermuten lassen, sind ja auch nicht die Türken die wahre Problem-Minorität in Österreich, sondern Deutsche wie Stermann. Die Deutschen nehmen uns die Studienplätze weg. Sie erinnern uns konstant dran, dass man die Entnazifizierung auch besser hätte machen können. Und sie stoßen uns ständig mit der Nase darauf, wie schlecht wir Österreicher eigentlich Deutsch sprechen. Kein Wunder also, dass die rachsüchtige Geißelung der Verwendung von Germanismen („dufte“, „gerade mal“) zu den österreichischen Nationalpassionen gehört. Um uns nur ja von Deutschland abzugrenzen, behauptet Stermann, sprechen wir sogar Deutschlandsberg als Deutschlands berg aus.

Wie nehmen die Deutschen Österreich wahr? Dazu hat der Rheinländer Stermann, der 1987 als „naiver Internationalist“ nach Wien gekommen und hier hängengeblieben ist, ein ebenso interessantes wie witziges Buch geschrieben. Stermann schöpft tief aus Austro-Stereotypen und -Klischees, gleichzeitig versteht er es aber, seinen persönlichen Beobachtungen einen anarchischen Spin zu geben, der das Klischeehafte gleich wieder um Häuser transzendiert. Gleich auf den ersten Seiten ein Beispiel hierfür: Da trägt ein Austro-Bsuff lautstark öffentlich „Es wird ein Wein sein, und wir wern nimma sein“ vor. Anders aber, als man es annehmen würde, ist es nicht ein beleibter alternder Heurigenbesucher, der diesen wienerischen Sentimentalitätsklassiker röhrt, sondern ein Zwölfjähriger in einer Straßenbahn am Floridsdorfer Spitz. „Wahrscheinlich ein Tscheche oder ein Slowake“, wie Stermann maliziös hinzufügt.

Stermann stellt sich dem seltsamen Austro-Personal mit offenen Sinnen und unverhohlener Sympathie. Im Krankenhaus schließt er Freundschaft mit der Zuhälterin Wanda Kuchwalek alias der „Wilden Wanda“ („Der Deitsche und i san Freind. Ned woar, Deitscha? Wir Hinnigen miassn zsammhalten.“), er trift auf furzende Taxifahrer („a klassischer Eierschaaß“), resolut depressive Würstelfrauen („Mir geht’s gschissn“) und ORF-Abteilungsleiter, trinkt Ribiselwein in Kritzendorf („Kritz-les-Bains“), ja sogar eine Vorarlbergerin kreuzt seinen Weg. So geschult gelingt es Stermann, sich ganz im Sinn des traditionellen Entwicklungsromans nach und nach zu austrifizieren bzw. zu „entpiefkeniesieren“, wie es im Romanuntertitel heißt. Aller satirischen Heiterkeit zum Trotz ist Sechs Österreicher unter den ersten Fünf aber auch eine durchaus ernsthafte Reflexion über das So-Sein und das Anders-Sein; über nationale Identitäten und über eine gelungene Selbstpreisgabe ans Fremde, wobei das Fremde in diesem Fall einmal nicht „die Ausländer“, sondern wir Österreicher selbst sind. Ein nicht nur duftes, sondern geradezu leiwandes Buch, mit manch einer beherzigenswerten Einsicht: „In Österreich sollte man am besten nur kurze Sätze schreiben (…). Sätze, wie Marlene Streeruwitz sie formuliert: ,Ich. Gehe. Jetzt.‘ Solche Sätze kommen aus kleinen Ländern. In Flächenstaaten wie Kanada oder Australien kann man Schachtelsätze bilden, aber in Österreich nicht.“

Dirk Stermann

Dirk Stermann, „Sechs Österreicher unter den ersten Fünf. Roman einer Entpiefkenisierung“.

€ 16,95 / 265 Seiten. Ullstein Verlag, Berlin 2010

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